Die fristlose Kündigung – Ein Auslaufmodell?

Stefan Weste (M.B.L.) | 1. April 2010

Nach den vergangenen und noch andauernden medialen Schlachten um die Rechtmäßigkeit von fristlosen Kündigungen in Bezug auf die rechtwidrige Entwendung von Pfandbons und Maultaschen stellt sich dem Verfasser die ernsthafte Frage, ob man als Anwalt seinen Mandanten überhaupt noch die Möglichkeit einer fristlosen Kündigung unterbreiten kann, ohne nicht sofort Gefahr zu laufen, diesen Mandanten spätestens nach dem Ende des (mit ziemlicher Sicherheit erfolglosen) arbeitsrechtlichen Gerichtsverfahrens zu verlieren.

Klar ist, dass die fristlose Kündigung nach § 626 BGB die „ultima ratio“ darstellen muss. Aus diesem Grund verlangt das Gesetz das „Vorliegen von Tatsachen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.“ Dies soll auch keineswegs in Frage gestellt werden.

Neben den ohnehin sehr hohen gesetzlichen Anforderungen an eine fristlose Kündigung ist dieser regelmäßig ein weiteres Regularium, die so genannte Abmahnung durch den Arbeitgeber, vorgeschaltet. Ebenfalls eine sinnvolle Institution, an der der Verfasser nichts zu kritisieren hat.

Klar ist aber auch, dass es aus Sicht  eines Arbeitgebers berechtigte Gründe gibt, die eine fristlose Kündigung auch ohne vorherige Abmahnung rechtfertigen müssen. Hierzu gehörten nach der einschlägigen Rechtssprechung der Arbeitsgerichte insbesondere solche Pflichtverletzungen, die den Vertrauensbereich zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer betreffen, wie z. B. Straftaten.

Doch genau diese bisher unumstößlichen Gründe scheinen nunmehr aufgeweicht zu werden, wie die Entscheidung des Landesarbeitsgericht Baden-Würtemberg vom 30. März 2010 zeigt. Zwar vertrat das Gericht weiterhin die gängige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht, wonach auch der Diebstahl geringwertiger Sachen grundsätzlich eine fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung rechtfertige, aber wenn dem Arbeitgeber kein messbarer Schaden entstanden sei, lägen nach Ansicht des Gerichts  solche Umstände vor, die eine fristlose Kündigung ausnahmsweise nicht rechtfertigen würden.

Nach Ansicht des Verfassers liegt in dieser Begründung ein Widerspruch in sich, da dem Arbeitgeber beim Diebstahl von lediglich geringwertigen Sachen so ziemlich nie ein messbarer Schaden entsteht. Aus genau diesem Grund wurde der geringe Wert einer gestohlenen Sache gerade nicht als Rechtfertigungsgrund akzeptiert. Sollte sich die durch das Gericht eingeschlagene Tendenz in der Rechtsprechung durchsetzen, können wir schon sehr gespannt darauf sein, wie hoch zukünftig der so genannte „messbare Schaden“ sein muss, um im Falle eines Diebstahls eine fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung aussprechen zu dürfen. Hieraus würde logischerweise  resultieren, dass jeder Arbeitgeber die Entwendung seines Eigentums bis zu einem durch die Rechtsprechung noch zu definierenden Grad hinzunehmen hätte. 

Der Verfasser ist überdies der Ansicht, dass es für die Frage des Vertrauensbruchs auch nicht darauf ankommen darf, wie hoch der Sachwert war, was der Arbeitgeber ohne den Diebstahl mit der Sache getan hätte oder ob bei dem Arbeitgeber ein "messbarer Schaden" eingetreten ist . Allein die Tatsache, dass die gestohlene Sache andernfalls in den Müll geworfen worden wäre, kann jedenfalls keinen Rechtsfertigungsgrund darstellen, insbesondere dann nicht, wenn, die Mitnahme von Restessen ausdrücklich untersagt war.

Dass sich Gerichte mit fristlosen Kündigungen ohne vorherige Abmahnungen zunehmend schwer tun, verdeutlichen auch die folgenden beiden Fälle, die der Verfasser selbst begleitet hat:

Fall 1: Ein Mitarbeiter eines Wirtschaftsberatungsunternehmens verschweigt im Vorstellungsgespräch und Lebenslauf, dass er sich weiterhin als Geschäftsführer für ein unmittelbares Konkurrenzunternehmen verantwortlich zeichnet. Und als sei dies nicht schon genug, verteilt er in seiner Funktion als Mitarbeiter des Wirtschaftsberatungsunternehmens auf einer Messe Visitenkarten des unmittelbaren Konkurrenzunternehmens. Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass es einer Abmahnung bedurft hätte und es der Kündigungsschutzklage stattgeben wird.

Fall 2: Ein Mitarbeiter eines Personalvermittlungsunternehmens beginnt damit, die Datenbank des Arbeitgebers, mehr als 200.000 Dateien, auf einen privaten USB-Stick zu kopieren. Im Kündigungsschutzverfahren verteidigt er sich mit der Behauptung, aus der Verwendung des privaten USB-Sticks könne nicht geschlossen werden, dass er die Daten habe entwenden wollen, da das Kopieren und Speichern von Daten auf privaten Datenträgern in diesem Unternehmen Gang und Gäbe sei. Das Arbeitsgericht München hat im Gütetermin zum Ausdruck gebracht, dass, der Vortrag des Mitarbeiters als wahr unterstellt, die fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung wohl unwirksam sein dürfte.

Klarstellend soll angeführt werden, dass der Schutz des Arbeitnehmers zu Recht hohe Priorität im Arbeitsrecht hat; aber nicht um jeden Preis und nicht auf Kosten der Interessen der Arbeitgeber. So wie Arbeitnehmer von Ihren Arbeitgebern erwarten, dass diese sich an die geltenden Gesetze halten und faire Arbeitsbedingungen schaffen, darf der Arbeitgeber von seinen Arbeitnehmern die gleiche Gesetzestreue und insbesondere Loyalität erwarten.

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Stefan Weste (M.B.L.)

Rechtsanwalt Stefan Weste (M.B.L.) war bis zum 31.08.2018 Partner der Kanzlei WK LEGAL am Standort Berlin. Zu seinen Tätigkeitsschwerpunkten gehörten die Bereiche Arbeitsrecht, Mergers & Acquisitions, Intellectual property sowie das Vertragsrecht.

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