Mein Haus ist meine Burg
Um ein Mietverhältnis aufzulösen, benötigt der Vermieter einen guten Grund. Verhält […]
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 238/11 Verkündet am: 9. Mai 2012
a) Der generalklauselartige Kündigungstatbestand in § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB ist gleichgewichtig mit den in § 573 Abs. 2 BGB genannten Kündigungsgründen (im Anschluss an BVerfG, NJW 1992, 105, 106 zu § 564a BGB aF; BGH, Urteile vom 23. Mai 2007 – VIII ZR 122/06, NJW-RR 2007, 1460 Rn. 13 und VIII ZR 113/06, WuM 2007, 459 Rn. 13).
b) § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB verwehrt es dem Vermieter nicht, auch Umstände aus dem Interessenbereich dritter Personen insoweit zu berücksichtigen, als sich aus ihnen aufgrund eines familiären, wirtschaftlichen oder rechtlichen Zusammenhangs auch ein eigenes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses ergibt.
c) Auch bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts kann ein dem Kündigungsgrund des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB „artverwandtes“ Interesse vorhanden sein.
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 9. Mai 2012 für Recht erkannt:
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil der 21. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 9. Juni 2011 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Beklagte hatte vom ursprünglichen Kläger, dem Gesamtverband der Evangelischen Kirchengemeinden in D. , im Jahr 1999 eine in einem Mehrfamilienhaus gelegene Zwei-Zimmer-Wohnung in D. angemietet. Im Verlauf des Rechtsstreits ist der Gesamtverband mit Wirkung zum 31. Mai 2010 aufgehoben worden; an dessen Stelle ist der nunmehrige Kläger, der Evangelische Kirchenkreis D. , getreten.
Mit Schreiben vom 23. Januar 2009 kündigte der Rechtsvorgänger des Klägers das Mietverhältnis ordentlich. Dabei machte er geltend, das gesamte Anwesen, einschließlich der vom Beklagten genutzten Wohnung, für die Unter-bringung der von der Diakonie in D. e.V. betriebenen Beratungsstelle für Erziehungs-, Ehe-, und Lebensfragen zu benötigen. Der Beklagte hat das Vorliegen eines berechtigten Interesses im Sinne des § 573 Abs. 1 BGB bestritten.
Das Amtsgericht hat der Räumungsklage des Rechtsvorgängers des Klägers stattgegeben. Das Landgericht hat die Berufung des Beklagten zurück-gewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Klagabweisungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, ausgeführt:
Das Kündigungsschreiben vom 23. Januar 2009 genüge den formellen Anforderungen des § 573 Abs. 3 BGB. Die Kündigung sei auch berechtigt. Denn der Kläger benötige den Wohnraum zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben und habe daher ein berechtigtes Interesse (§ 573 Abs. 1 BGB) an der Beendigung des Mietverhältnisses. Beim Kläger handele es sich um eine öffentlich-rechtliche Körperschaft, zu deren Aufgaben die Durchsetzung der mit der Kündigung verfolgten Ziele gehöre. Die vom Kläger beabsichtigte Nutzung der Räumlichkeiten für eine Beratungsstelle für Erziehungs-, Ehe- und Lebensfragen in der Altstadt überwiege das Interesse des Beklagten am Fortbestand des Mietverhältnisses. Es sei gerichtsbekannt, dass in diesem Stadtteil wegen der zum Teil problematischen Sozialstruktur Bedarf für ein entsprechendes Beratungszentrum bestehe.
Dem berechtigten Interesse des Klägers an der Beendigung des Mietverhältnisses stehe auch nicht entgegen, dass er die geplante Beratungsstelle nicht selbst unterhalten werde, sondern das Gebäude der Diakonie D. e.V. zum Betrieb der Beratungsstelle überlassen wolle. Die Diakonie D. e. V. sei nämlich in die Evangelische Kirche im R. eingegliedert, zu der auch der Kläger als Dachverband der 24 Kirchengemeinden D. gehöre. Damit sei die rechtliche Situation mit der in § 573 Abs. 2 BGB eigens geregelten Eigenbedarfskündigung vergleichbar. Die genannte Vorschrift belege, dass ein berechtigtes Interesse an der Kündigung auch darin liegen könnte, dass die Mietwohnung von einer dem Vermieter nahestehenden Person benötigt werde. Diese Wertung lasse sich auch auf den vorliegenden Fall übertragen, in der die Umsetzung des verfolgten öffentlichen Interesses durch eine dem Vermieter „nahestehende“ juristische Person erfolgen solle. Es könne letztlich keinen Unterschied machen, ob das beabsichtigte kirchliche Beratungszentrum vom Kläger selbst oder von einer anderen juristischen Person betrieben werde, die ebenfalls zum Gesamtkomplex der Evangelischen Kirche im R. gehöre. Jedes andere Verständnis würde dazu führen, dass die Einrichtung einer – gewichtige öffentliche Interessen erfüllenden – Beratungs-stelle vereitelt würde.
II.
Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält rechtlicher Nachprüfung stand; die Revision des Beklagten ist daher zurückzuweisen. Der Kläger hat nach § 546 Abs. 1 BGB Anspruch auf Räumung der vom Beklagten angemieteten Wohnung, denn das zwischen den Parteien bestehende Mietverhältnis ist durch die Kündigung vom 23. Januar 2009 beendet worden.
1. Nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen genügt das Kündigungsschreiben vom 23. Januar 2009 den Begründungserfordernissen des § 573 Abs. 3 Satz 1 BGB. Dies stellt auch die Revision nicht in Frage.
2. Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht nicht das Vorliegen eines Kündigungsgrunds nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB („Eigenbedarf“) bejaht, sondern die Berechtigung des Klägers (bzw. seines Rechtsvorgängers) zur ordentlichen Kündigung ausschließlich am Maßstab des § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB geprüft. Dabei hat es rechtsfehlerfrei ein – von dieser Bestimmung vorausgesetztes – berechtigtes Interesse des Klägers an der Beendigung des Mietverhältnisses mit dem Beklagten bejaht. Die Beantwortung der Frage, ob ein berechtigtes Interesse im Sinne dieser Vorschrift gegeben ist, erfordert eine umfassende Würdigung der Umstände des Einzelfalls. Sie obliegt in erster Linie dem Tatrichter und kann vom Revisionsgericht nur darauf über-prüft werden, ob sie auf einer rechtsfehlerfrei gewonnenen Tatsachengrundlage beruht, alle maßgeblichen Gesichtspunkte berücksichtigt worden sind und der Tatrichter den zutreffenden rechtlichen Maßstab angewandt hat (Senatsurteile vom 23. Mai 2007 – VIII ZR 122/06, NJW-RR 2007, 1460 Rn. 11 und VIII ZR 113/06, WuM 2007, 459 Rn. 11, jeweils mwN). Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten einer Prüfung anhand dieses Maßstabs stand.
a) Nach den vom Berufungsgericht getroffenen, von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen ist der Kläger – wie auch sein Rechtsvorgänger – als Dachverband der D. Kirchengemeinden eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Die Revision zieht auch nicht in Zweifel, dass ein berechtigtes Interesse des Klägers an der Auflösung des Mietvertrags anzuerkennen wäre, wenn er selbst Träger der diakonischen Beratungsstelle wäre, für deren Unterbringung die Räumlichkeiten benötigt werden. Sie meint aber, ein solches Interesse sei ausgeschlossen, wenn – wie hier – die Beratungsstelle nicht vom Kläger selbst, sondern von einer rechtlich selbständigen juristischen Person wie der Diakonie D. e.V. betrieben werde. Der Kläger könne sich nicht auf den Nutzungsbedarf dieses Dritten berufen.
b) Diese Ansicht teilt der Senat nicht. Es ist seit langem anerkannt, dass ein berechtigtes Interesse an der Beendigung eines Mietverhältnisses vorliegen kann, wenn eine öffentlich-rechtliche Körperschaft (vor allem eine Gemeinde) die von ihr vermietete Wohnung zur Umsetzung von Aufgaben benötigt, an deren Erfüllung ein gewichtiges öffentliches Interesse besteht (vgl. BayObLG, NJW 1981, 580, 582 ff.; OLG Frankfurt am Main, NJW 1981, 1277 f. mwN; LG Hamburg, NJW-RR 1991, 649 mwN; LG Flensburg, ZMR 2001, 711; Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht, 10. Aufl., § 573 BGB Rn. 202). Teilweise wird allerdings verlangt, dass die juristische Person des öffentlichen Rechts die von ihr vermietete Wohnung zur Erfüllung eigener öffentlich-rechtlicher Aufgaben oder jedenfalls zur Wahrung solcher öffentlich-rechtlicher Drittinteressen benötigt, zu deren Durchsetzung sie rechtlich verpflichtet ist (so LG Kiel, WuM 1992, 129 f.; Erman/Lützenkirchen, BGB, 13. Aufl., § 573 Rn. 14; Staudinger/Rolfs, BGB, Neubearb. September 2010, § 573 Rn. 195).
Diese Sichtweise, die Drittinteressen nur bei einer rechtlichen Verpflichtung des Vermieters zu deren Wahrnehmung berücksichtigen will, verengt den Anwendungsbereich des § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen. Sie lässt außer Acht, dass der generalklauselartige Kündigungstatbestand in § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB gleichgewichtig ist mit den in § 573 Abs. 2 BGB genannten Kündigungsgründen (vgl. BVerfG, NJW 1992, 105, 106 zu § 564a BGB aF; Senatsurteile vom 23. Mai 2007 – VIII ZR 122/06, und VIII ZR 113/06, jeweils aaO Rn. 13). Für die Frage, ob ein Interesse als berechtigt nach § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB anzusehen ist, kommt es allein darauf an, ob es ebenso schwer wiegt wie die in § 573 Abs. 2 BGB beispielhaft aufgeführten Kündigungsgründe (BayObLG, aaO, S. 582 mwN zu § 564b BGB aF). Wie der Tatbestand des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB belegt, kann sich ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Auflösung des Mietverhältnisses aber nicht nur aus rechtlichen Beziehungen zu anderen Personen, sondern auch aus familiären oder wirtschaftlichen Beziehungen ergeben.
In dieser Regelung wird der Wohnbedarf von Familienangehörigen oder Haushaltsangehörigen des Vermieters dem Bedarf des Vermieters gleichgesetzt. Es ist kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, bei § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB einen strengeren Maßstab anzulegen und Drittinteressen nur dann dem Vermieter als eigenes Interesse zuzuordnen, wenn dieser rechtlich verpflichtet ist, auch solche Fremdinteressen zu wahren. Die genannte Vorschrift verwehrt es dem Vermieter daher nicht, auch Umstände aus dem Interessenbereich dritter Personen insoweit zu berücksichtigen, als sich aus ihnen aufgrund eines familiären, wirtschaftlichen oder rechtlichen Zusammenhangs auch ein eigenes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses ergibt (BayObLG, aaO). Diese Grundsätze gelten – anders als das Landgericht Kiel (aaO) meint, das die vom Bayerischen Obersten Landesgericht angestellten Erwägungen missverstanden hat – nicht nur für private Vermieter, sondern auch für juristische Personen des öffentlichen Rechts. Auch bei diesen kann ein dem Kündigungsgrund des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB „artverwandtes“ Interesse vorhanden sein (AG Göppingen, WuM 1979, 122 f. mwN; vgl. auch BayObLG, aaO).
c) Gemessen an diesen Maßstäben dient die ausgesprochene Kündigung des Mietverhältnisses mit dem Beklagten nicht nur der Verwirklichung fremder Interessen, sondern auch der Durchsetzung eigener Interessen des Klägers. Entscheidend ist, dass sowohl der Kläger als auch die Betreiberin der Beratungsstelle, die Diakonie D. e.V., zum Gesamtkomplex der Evangelischen Kirche im R. gehören und im gleichen örtlichen Wirkungskreis, nämlich in D. , kirchliche Aufgaben wahrnehmen. Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts führt die Diakonie D. e.V. für die D. Kirchengemeinden diakonische Aufgaben – darunter auch die Unterhaltung von Beratungsstellen – durch. Es handelt sich damit bei ihr um eine juristische Person, die – wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat – dem Kläger „nahesteht“. Diese Zusammenhänge begründen nicht nur ein – im Rahmen des § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB unbeachtliches – Drittinteresse an der Erlangung geeigneter Räumlichkeiten für eine Beratungsstelle in der D. Altstadt, sondern vielmehr ein eigenes berechtigtes Interesse des Klägers an der Beendigung des Mietverhältnisses.
Vorinstanzen:
AG Düsseldorf, Entscheidung vom 21.04.2010 – 35 C 14555/09 –
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 09.06.2011 – 21 S 190/10 –
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