Hat das Urteil im Namen des Volkes etwa ausgedient?

Stefan Weste (M.B.L.) | 16. Februar 2018

Mitunter hat man als Anwalt tatsächlich den Eindruck, dass man sich mit dem Wunsch, das Verfahren durch ein Urteil beenden zu wollen, zunehmend unbeliebter macht. So auch in einem aktuellen Verfahren, welches der Autor für seine Mandantin vor einem Arbeitsgericht führt.

Hintergrund

Die Mandantin, ihres Zeichens Umschülerin in einer durch die Agentur für Arbeit geförderten Maßnahme, absolvierte ein unentgeltliches Pflichtpraktikum bei dem Beklagten. Nach einigen Monaten kündigte der Beklagte das Praktikumsverhältnis außerordentlich fristlos.

Die Parteien streiten aufgrund der Unentgeltlichkeit ausschließlich über die Frage der (Un-) Wirksamkeit der außerordentlich, fristlosen Kündigung und obgleich das Gericht im Kammertermin sowohl von einer Verfristung als auch einer Unbegründetheit der außerordentlichen fristlosen Kündigung ausging, wirkte es auf den Abschluss eines Vergleiches hin. Soweit grundsätzlich nicht zu beanstanden. Nach kurzer Besprechung mit der Mandantin wurde aus verschiedenen Gründen ein Vergleich abgelehnt und um ein Urteil gebeten. Das Gericht entschied jedoch, dass ein neuer Kammertermin auf Antrag erfolge und die Klägerin so die Möglichkeit erhalten solle, die Ablehnungsgründe zu klären, um doch noch einem Vergleich mit umfassender Abgeltungsklausel zuzustimmen.

Nach erneuter Bitte um Fortgang des Verfahrens und Ausspruch eines Urteils terminierte das Gericht erneut und ordnet das persönliche Erscheinen der Parteien zum Zwecke von Vergleichsverhandlungen an, während der Prozessbevollmächtigte des Beklagten mit Schriftsatz an das Gericht der Klägerin gleich jedwedes Rechtsschutzbedürfnis an einem Fortgang des Verfahrens und einem Urteil abspricht.

Gütliche Streitbeilegung

Nach § 278 Abs. 1 ZPO soll das Gericht in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits oder einzelner Streitpunkte bedacht sein. Deshalb geht der mündlichen Verhandlung nach § 278 Abs. 2 ZPO auch eine Güteverhandlung voraus. Mit Hilfe einer solchen gütlichen Einigung soll das Verfahren möglichst schnell und kostengünstig beendet werden. Außerdem ist der Gerechtigkeit in manchen Fällen mehr gedient, wenn die Parteien einen Kompromiss finden und ihren Streit einvernehmlich beilegen.

Da sich für den zuständigen Richter zudem der Vorteil ergibt, dass bei Beendigung des Prozesses durch Vergleich kein Urteil zu schreiben braucht, ist dieser häufig besonders am Abschluss eines solchen interessiert. Doch wie weit darf das „Hinwirken“ des Gerichts auf einen Vergleich gehen?

Grenzen der gütlichen Streitbeilegung

Der Handlungsspielraum, innerhalb dessen ein Gericht auf einen Vergleich zwischen den Parteien hinwirken darf, lässt sich nicht allein anhand des Wortlautes von § 278 ZPO beantworten. Zwar ist dieser recht offen formuliert, was einen unter Umständen einen weiten Spielraum zulassen würde; er ist aber durch die Formulierung „bedacht“ auch eher zurückhaltend formuliert, was der Zulässigkeit jedweden Zwanges entgegensteht.

Ein „erzwungener“ Vergleich würde schon dem Sinn und Zweck der gütlichen Einigung widersprechen. Denn durch einen Vergleich soll ein Kompromiss zwischen den beiden Parteien des Rechtsstreits gefunden werden, mit dem beide zufrieden sind, weshalb dann keine Entscheidung des Gerichts mehr nötig ist. Das kann durch einen „Zwangsvergleich“ jedoch nicht erreicht werden, da sich bei einem solchen zumindest eine der Parteien benachteiligt fühlen wird und mit dem Ende des Prozesses unzufrieden sein dürfte.

Zudem widerspräche dies der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes. Das Grundgesetz enthält einen allgemeinen Justizgewährungsanspruch, der aus dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindungen mit den Grundrechten hergeleitet wird. Dieser gilt nicht nur gegenüber dem Staat, sondern auch gegenüber andern Bürgern. Wird ein Bürger durch einen anderen Bürger in seinen Rechten verletzt, so vermittelt ihm der allgemeine Justizgewährungsanspruch einen Anspruch auf Eröffnung des Rechtsweges zu den Gerichten. Ist dieser Rechtsweg einmal eröffnet, so muss es dem Bürger jedoch auch im Sinne eines effektiven Rechtsschutzes möglich sein diesen auch zu beschreiten. Dem würde ein erzwungener Vergleich entgegenstehen.

Zudem könnte der Zwang zum Vergleich das Vertrauen des Rechtssuchenden in den Rechtsstaat und dessen Einrichtungen untergraben.

Anspruch auf ein Urteil

Zur Frage des Rechtsschutzbedürfnisses lässt sich zunächst einmal sagen, dass in der ZPO kein Anspruch auf ein Urteil formuliert wird. Ein solcher lässt sich aber gegebenenfalls aus der Garantie eines effektiven Rechtsschutzes herleiten. Da aber wie oben gesehen niemand zum Abschluss eines Vergleiches gezwungen werden darf, kann das gleiche Ergebnis auch nicht einfach dadurch herbeigeführt werden, dass der einen Partei das Rechtsschutzbedürfnis abgesprochen wird. Dies würde dann mittelbar auf einen „Zwangsvergleich“ hinauslaufen.

Fazit

Abschließend lässt sich also sagen, dass zwar das Hinwirken des Gerichts auf einen Vergleich in Form eines Kompromisses durchaus erforderlich, sinnvoll und wünschenswert ist, aber auch wieder stärker die Wünsche der Parteien Berücksichtigung finden müssen, wenn sich diese, aus welchen Gründen auch immer, nicht vergleichsweise einigen wollen. Mit dem Abschluss des Vergleichs müssen beide Parteien aus freien Stücken einverstanden sein. Dies gebietet das Rechtsstaatsprinzip und Dispositionsmaxime, die im Zivilrecht gewährleistet, dass es ausschließlich den Parteien überlassen bleibt, ob, wann, worüber und wie lange prozessiert wird.

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Stefan Weste (M.B.L.)

Rechtsanwalt Stefan Weste (M.B.L.) war bis zum 31.08.2018 Partner der Kanzlei WK LEGAL am Standort Berlin. Zu seinen Tätigkeitsschwerpunkten gehörten die Bereiche Arbeitsrecht, Mergers & Acquisitions, Intellectual property sowie das Vertragsrecht.

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