Beyoncé und der Tanz ums Plagiat

Robert Grohmann | 29. November 2011

Der Videoclip „Countdown“  der US- Amerikanischen Sängerin Beyoncé Knowles zieht derzeit ungewollte Aufmerksamkeit auf sich.  In ihrem Video fährt sich die Sängerin mit den Händen durch die Haare, reißt ihr T-Shirt auf und entblößt ihre Schultern. Für ein Musikvideo der Popsängerin nicht sonderlich aufregend,  kämen einem einigen diese Szenen nicht bereits bekannt vor.

Auch Anne Teresa de Keersmaeker wird die Vertrautheit mit einigen Szenen wohl weniger amüsiert haben. Schließlich stammen die eben beschriebenen Ausschnitte eigentlich aus zwei Werken der belgischen Choreographin. Beyoncé soll die Passagen fast eins zu eins, ohne vorher um Erlaubnis zu fragen übernommen haben. De Keersmaeker zeigt sich über ein solches Vorgehen verärgert und lässt rechtliche Schritte prüfen. Der Tagesspiegel wittert eine „völlig neue Debatte ums Urheberrecht“ und titelt in seiner Ausgabe vom 13.10.2011: „Können Tänze Plagiate sein? Beyonce schlägt ein neues Kapitel im Urheberrecht auf“.

Ein kurzer „Vergleich“ der in Rede stehenden Bewegungen ist unter dieser Adresse zu finden.

Ein derart populärer Fall, um ein im Urheberrecht eher stiefmütterlich behandeltes Thema, ist Grund genug, um der urheberrechtlichen Schutzfähigkeit des Tanzes einmal genauer auf den Grund zu gehen. Dabei stellt sich weniger die Frage, ob Tänze überhaupt einem urheberrechtlichen Schutz unterliegen. Denn als Unterform der pantomimischen Kunst, sind Werke der Tanzkunst in § 2 Abs. 1 des Urhebergesetzes explizit erwähnt. Die Problematik liegt viel eher in der Abgrenzung zwischen schutzfähigen Tänzen einerseits und solchen die dem Schutz des Gesetzes nicht unterfallen.

Glaubt man der Tanzkritikerin Wiebke Hüster, die vom Tagesspiegel unter Berufung auf den Blog der FAZ zitiert wird, ist es vorliegend nicht eindeutig, ob Keersmaeker in ihren Rechten als Urheber verletzt wurde. Hüster meint „Es gibt kein Copyright für Über-den-Boden-rollen, wie es in „Achterland“ und im „Countdown“-Clip zu sehen ist. Denn dabei – wie beim Schulternentblößen und Haare-aus-dem-Gesicht-Streichen – handelt es sich um im zeitgenössischen Tanz etwa so gebräuchliche Phrasen wie das Gehen, Laufen, Hüpfen, Drehen und laut Atmen“.

Richtig ist, dass diese einzelnen Phrasen keinen urheberrechtlichen Schutz erfahren. Denn das Wesen der Tanzkunst wird vor allem im choreografischen Werk gesehen, in dem die einzelnen Elemente Bewegung, Schritt, Technik und Gebärden verarbeitet werden. Wie bei allen Werkarten im Urheberrecht kommt es auch im Tanz auf eine persönliche geistige Schöpfung an. Durch das Werk müssen „Gedanken und Empfindungen“ zum Ausdruck gebracht werden. Für pantomimische und tänzerische Werke etwa mit den Mitteln der menschlichen Bewegung.

Wann die Choreografie eine derartige „Schöpfungshöhe“ aufweist kann nicht pauschal gesagt werden. Die Begriffe „Gedanken und Empfindungen“ sind bewusst vage gewählt, denn die Kunst nach allgemeingültigen Begriffen festzulegen und sie damit in ihrer Freiheit einzuengen steht der Rechtsprechung nicht an. Es bedarf wie so oft der Betrachtung im jeweiligen Einzelfall.

Vor dem Hintergrund des im Urheberrecht allgemein gültigen Grundsatzes vom „Schutz der kleinen Münze“ dürften die Anforderungen an eine persönlich geistige Schöpfung allerdings nicht zu hoch anzulegen sein. De Keersmaekers in Frage stehende Choreografien zu den Werken „Achterland“ und „Rosas danst Rosas“  erhielten internationale Auszeichnungen, was auf ein  hohes Maß an künstlerischer Ausdrucksform, also geistiger Schöpfung, schließen lässt.  Sie werden den Anforderungen an den Werkschutz wohl gerecht.

Um einen Eingriff in die Integrität des Urhebers handelt es sich allerdings nur, wenn auch die von verwendeten Choreografie-Phrasen selbst Werkqualität aufweisen. Diese beurteilt sich ebenso wie die Schutzfähigkeit der Gesamtchoreografie danach, ob die kopierten Ausschnitte für sich genommen den Anforderungen an ein Werk der Tanzkunst genügen, ob sie trotz ihrer Kürze bereits eine persönliche geistige Schöpfung oder  nur eine bloße Aneinanderreihung von Bewegungen darstellen.

„Beyoncé Knowles hat eine Grenze überschritten, denn in ihrem Video werden nicht nur einzelne Schritte, sondern ganze Passagen kopiert.“ erklären Madelin Ritter und Ingo Diehl gegenüber dem Tagesspiegel.

In der Tat beschränken sich die Entlehnungen nicht auf einzelne Gebärden, wie das Schultern-entblößen und das Haare-aus-dem-Gesicht-streichen. Kopiert wird auch die Tanzabfolge der Damen im Hintergrund.

Anders als in der Musik oder in der Literatur, sind gerichtliche Entscheidungen zur Schutzfähigkeit einzelner Ausschnitte eines Tanzwerkes aber  rar. Zu wenig lässt sich aus den wenigen Prozessen schließen, als dass sich eine tendenzielle Rechtslage abzeichnen würde.

Jedoch könnten sich aus den gerichtlichen Entscheidungen zu Werken der Musik und der Literatur auch Rückschlüsse für Werke der Tanzkunst ziehen lassen. So wird bei Sprachwerken der Schutz einzelner Worte oder Titel – mögen sie auch noch so kreativ sein – abgelehnt. Für Werke der Musik wird die Zusammensetzung von drei bis vier Tonfolgen noch nicht als  ausreichend angesehen. Bezogen auf die Werkqualität von Ausschnitten einer Choreografie ließe sich schlussfolgern, dass die Anforderungen über einzelne aneinandergereihte Bewegungsabläufe hinaus gehen müssten.

Hier liegt die Schwierigkeit des vorliegenden Falls. Ohne Frage sind es nicht nur einzelne Gebärden deren Herkunft den Werken „Achterland“ und „Rosa danst Rosas“ zugeordnet werden können. Allerdings könnten die verwendeten Bewegungsabläufe auf Grund ihrer Länge von lediglich zwei bis drei Bewegungen derart kurz sein, dass sie die Anforderungen an ein Werk, welches „Gedanken und Empfindungen“ zum Ausdruck bringen sollen, nicht ausreichend erfüllen.

Dieses Ergebnis könnte durchaus mit den Zielen des Urheberechts im Einklang stehen.  Denn das Urhebergesetz soll dem Künstler durch die Verwertungsmöglichkeit seiner geistigen Schöpfungen und den Schutz seiner künstlerischen Integrität, einen Anreiz bieten seiner kreativen Tätigkeit nachzugehen. Nicht jede Bewegung, jedes Wort oder jeder Ton kann dabei dem rechtlichen Schutz unterliegen. Dies würde zu einer unangemessene Verkürzung der künstlerischen Freiheit führen, die einer kulturellen Weiterentwicklung entgegen stehen könnte.

Letztendlich würde eine solche Praxis aber dazu führen, dass sich Künstler wie Miss Knowles in einer Art Baukastenprinzip geistigen Eigentums andere bedienen dürften, solange die Sequenzen nur kurz genug sind, um keine eigene Werkqualität aufzuweisen. Ein derartig intensiver und offensichtlicher Gebrauch geistigen Eigentums, wirkt aber äußerst unbillig.

Der Schutzweite des Gesetzes kommt somit eine wichtige Rolle zu. Es gilt die richtige Balance zwischen künstlerischer Freiheit und dem angemessenen Schutz des daraus entstandenen Ergebnisses zu finden. Dieser Findungsprozess ist in anderen Bereichen des Urheberrechts sicher weiter fortgeschritten als im Tanz. Eine „völlig  neue Debatte ums Urheberrecht“  wird der vorliegende Fall wohl aber nicht provozieren. Dennoch ist er ein  gutes Beispiel dafür, dass die urheberrechtliche Schutzfähigkeit der Werke der Tanzkunst in Deutschland noch ausreichend klärungsbedarf aufweist.

WK LEGAL ist eine auf den Bereich des Urheberecht spezialisierte Kanzlei. Wir betreuen Künstler und Rechteinhaber in allen Bereichen des Urheberrechts. Gern stehen wir auch ihnen für unverbindliche Fragen zur Verfügung. Sprechen Sie uns einfach an!

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Robert Grohmann

Robert Grohmann war im Jahr 2011 als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei WK LEGAL am Standort Berlin tätig und war während dieser Zeit in den Bereichen der neuen Medien sowie im Bereich des Urheberrechts tätig.

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