BGH – Beschluss zum Umfang der Auskunftspflichten des Selbständigen in der Treuhandphase

Wolfgang N. Sokoll | 29. März 2013

                                                                                      BUNDESGERICHTSHOF
                                                                                                   

                                                                                                 BESCHLUSS

                                       IX ZB 165/11 vom 26. Februar 2013 im Restschuldbefreiungsverfahren

 

Leitsätze:

InsO § 295 Abs. 1 Nr. 3, § 295 Abs. 2, § 296 Abs. 2 Satz 3

a) In der Wohlverhaltensphase hat der selbständig tätige Schuldner auf Verlangen Auskünfte zu erteilen, aus denen die ihm mögliche abhängige Tätigkeit bestimmt und das anzunehmende fiktive Nettoeinkommen ermittelt werden kann, nicht jedoch Auskünfte über etwaige Gewinne aus seiner selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit.

b) Verlangt ein Gericht eine solche – nicht durch § 295 Abs.1 Nr. 3 InsO gedeckte – Auskunft, begründen die Nichterteilung der Auskunft, eine unvollständige oder verspätete Auskunft grundsätzlich keine Obliegenheitsverletzung nach § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO oder nach § 296 Abs. 2 Satz 3 Fall 1 InsO.

 

Tenor:

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Dr. Fischer, Grupp und die Richterin Möhring am 26. Februar 2013 beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Münster vom 3. Mai 2011 wird auf Kosten der weiteren Beteiligten zu 1 als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.000 € festgesetzt.

                                                                                                     

 Gründe:

                                                                                                           I.

Das auf Eigenantrag des selbständig tätigen Schuldners am 15. März 2002 eröffnete Insolvenzverfahren wurde wegen Masseunzulänglichkeit nach Ankündigung der Restschuldbefreiung am 18. April 2005 eingestellt. Im Februar 2007 beantragte die weitere Beteiligte zu 1, eine Gläubigerin, dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen, weil dieser gegenüber dem Treuhänder seine Einnahmen aus der selbständigen Tätigkeit nicht ausreichend offengelegt habe. In dem sich anschließenden Verfahren forderte das Insolvenzgericht den Schuldner unter Hinweis auf § 296 Abs. 2 InsO zur Auskunftserteilung auf. Ob dieser die angeforderten Auskünfte ausreichend und rechtzeitig erteilt hat, ist zwischen ihm und den weiteren Beteiligten streitig geblieben.

Das Insolvenzgericht hat den Versagungsantrag der weiteren Beteiligten zu 1 zurückgewiesen. Ihre hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde blieb erfolglos. Mit ihrer Rechtsbeschwerde möchte sie weiterhin erreichen, dass dem Schuldner die Restschuldbefreiung versagt wird.

                                                                                                           II.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 7 InsO aF, §§ 6, 296 Abs. 3 Satz 1 InsO, Art. 103f EGInsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO), aber unzulässig. Der geltend gemachte Zulässigkeitsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO) ist nicht gegeben.

1. Die Beschwerdeentscheidung beruht jedenfalls nicht auf dem geltend gemachten Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG.

a) Die Obliegenheiten des § 295 InsO treffen den Schuldner erst ab der Aufhebung (oder der Einstellung, vgl. § 289 Abs. 3 InsO) des Insolvenzverfahrens. Dies setzt die Kenntnis des Schuldners von diesen Umständen und damit die Kenntnis von dem Ankündigungsbeschluss und dem Aufhebungs- oder Einstellungsbeschluss voraus (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2008 – IX ZB 249/07, NZI 2009, 191 Rn. 8; vom 14. Januar 2010 – IX ZB 78/09, ZInsO 2010, 345 Rn. 9). Vorliegend begann die Wohlverhaltensphase nicht vor Erlass des Einstellungsbeschlusses vom 18. April 2005 und endete am 15. März 2008. Maßgeblich ist insoweit § 287 Abs. 2 InsO in der Fassung des Gesetzes zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze vom 26. Oktober 2001 (BGBl. I S. 2710), weil das Insolvenzverfahren nach dem 1. Dezember 2001 eröffnet worden ist (Art. 103a EGInsO).

In der Wohlverhaltensphase war der Schuldner nur selbständig tätig. Das hat zur Folge, dass seine Einnahmen aus der selbständigen Tätigkeit grundsätzlich nicht unter die Abtretungserklärung des § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO fallen. § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist daher insoweit nicht anzuwenden. Einnahmen, die ein Schuldner aufgrund einer wirtschaftlich selbständigen Tätigkeit erzielt, müssen ihmuneingeschränkt zur Verfügung stehen, damit er seiner Abführungspflicht aus § 295 Abs. 2 InsO gerecht werden kann. Sie können deshalb – ungeachtet der Tatsache, dass auch der selbständig tätige Schuldner seinem Antrag eine Abtretungserklärung nach § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO beizufügen hat – in aller Regel auch nicht als pfändbares Einkommen im Sinne des § 850 Abs. 2 ZPO angesehen werden (vgl. BGH, Urteil vom 15. Oktober 2009 – IX ZR 234/08, NZI 2010, 72 Rn. 8 ff). Zwar hat der Bundesgerichtshof in dieser Entscheidung offen gelassen, ob dies auch dann gilt, wenn es sich bei dem Schuldner um einen Scheinselbständigen handelt (aaO Rn. 18). Anhaltspunkte für eine bloße Scheinselbständigkeit hat das Beschwerdegericht aber nicht festgestellt (vgl. BGH, Beschluss vom 22. September 2011 – IX ZB 133/08, ZInsO 2011, 2101 Rn. 9).

Ob der Schuldner als selbständig Tätiger einen Gewinn erzielt hat oder ob er einen höheren Gewinn hätte erwirtschaften können, ist unerheblich. Nach § 295 Abs. 2 InsO obliegt es ihm, die Insolvenzgläubiger durch Zahlungen an den Treuhänder so zu stellen, wie wenn er ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen wäre. Die Vorschrift löst die zu berücksichtigenden Erträge vom tatsächlichen wirtschaftlichen Erfolg der selbständigen Tätigkeit des Schuldners. Das anzunehmende fiktive Nettoeinkommen ist dabei aus einem angemessenen Dienstverhältnis zu berechnen. Angemessen ist nur eine dem Schuldner mögliche abhängige Tätigkeit (BGH, Beschluss vom 5. April 2006 – IX ZB 50/05, NZI 2006, 413 Rn. 13; vom 19. Mai 2011 – IX ZB 224/09, NZI 2011, 596 Rn. 6).

Der selbständig tätige Schuldner hat deswegen nach § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO dem Treuhänder oder dem Gericht auf Verlangen Mitteilung zu machen, ob er einer selbständigen Tätigkeit nachgeht, wie seine Ausbildung und sein beruflicher Werdegang aussieht und welche Tätigkeit (Branche, Größe seines Unternehmens, Zahl der Angestellten, Umsatz) er ausübt, wobei seine Auskünfte so konkret sein müssen, dass ein Gläubiger danach die dem Schuldner mögliche abhängige Tätigkeit bestimmen und das anzunehmende fiktive Nettoeinkommen ermitteln kann (vgl. FK-InsO/Ahrens, 7. Aufl., § 295 Rn. 60). Er hat jedoch keine Auskünfte über etwaige Gewinne aus seiner selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit zu erteilen (AG Göttingen, ZInsO 2011, 1855, 1856; FKInsO/Ahrens, aaO). Verlangen Treuhänder oder Gericht eine solche – nicht durch § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO gedeckte – Auskunft, begründen die Nichterteilung der Auskunft, eine unvollständige oder verspätete Antwort keine Obliegenheitsverletzung nach § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO (zu §§ 97, 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2003 – IX ZB 388/02, NJW 2003, 2167, 2169; zu § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO vgl. FK-InsO/Ahrens, aaO § 295 Rn. 59; Wenzel in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2012, § 295 Rn. 25).

Für den Versagungsgrund des § 296 Abs. 2 Satz 3 Fall 1 InsO, den das Gericht auch ohne einen sich darauf beziehenden Antrag des Gläubigers zu berücksichtigen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Mai 2011 – IX ZB 274/10, NZI 2011, 640 Rn. 12), kann grundsätzlich nichts anderes gelten. Nach dieser Vorschrift kann einem Schuldner die Restschuldbefreiung versagt werden, wenn er im Verfahren über den Antrag eines Gläubigers auf Restschuldbefreiung eine vom Gericht geforderte Auskunft schuldhaft nicht innerhalb einer gesetzten Frist erteilt, ohne dass es auf eine Beeinträchtigung der Befriedigungsaussichten der Gläubiger ankäme (BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2009 – IX ZB 169/08, ZInsO 2009, 2162 Rn. 6). Nach § 296 Abs. 2 Satz 2 Fall 1 InsO hat der Schuldner allerdings lediglich über die Erfüllung seiner Obliegenheiten Auskunft zu erteilen, nur darüber darf er durch das Gericht (im Rahmen des Versagungsantrags) befragt werden. Deswegen darf das Gericht – wie bei § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO – den selbständig tätigen Schuldner beispielsweise nach den Umständen befragen, aus denen sich die ihm mögliche abhängige Tätigkeit und das anzunehmende fiktive Nettoeinkommen ableiten lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Mai 2009 – IX ZB 116/08, ZInsO 2009, 1268 Rn. 9), nicht aber über seine Gewinne aus der selbständigen Tätigkeit. Gehen die Fragen des Gerichts über den sich aus §§ 295, 296 Abs. 2 InsO ergebenden Rahmen hinaus, stellt die Nichtbeantwortung der Fragen keine Verletzung der Verfahrensobliegenheiten dar.

b) Da dem Schuldner in den Tatsacheninstanzen wie auch in der Rechtsbeschwerde nur vorgeworfen wird, er habe Auskünfte über seine sich aus der selbständigen Tätigkeit ergebende Einkommenssituation in der Wohlverhaltensphase nicht erteilt, kann eine Obliegenheitsverletzung nach § 295 Abs. 1 Nr. 3, § 296 Abs. 2 Satz 2 Fall 1 InsO aus Rechtsgründen nicht vorliegen. Es ist deswegen ausgeschlossen, dass die Berücksichtigung der Hinweise der Gläubigerin auf den Versagungsgrund des § 296 Abs. 2 Satz 3 InsO bei richtiger Rechtsanwendung im Ergebnis zu einer anderen, für die Gläubigerin günstigeren Entscheidung geführt hätte (vgl. BGH, Beschluss vom 17. September 1992 – IX ZB 45/92, NJW 1992, 3243, 3244; vom 25. September 2003 – IX ZB 612/02, nv, Rn. 6; vom 25. September 2007 – VI ZR 162/06, ZMGR 2007, 141 Rn. 3).

2. Auch der gerügte Willkürverstoß (Art. 3 Abs. 1 GG) liegt nicht vor. Zutreffend hat das Beschwerdegericht den Versagungsgrund nach § 295 Abs. 2 InsO als nicht glaubhaft gemacht angesehen (§ 296 Abs. 1 Satz 3 InsO). Im Rahmen des § 295 Abs. 2 InsO muss der Gläubiger glaubhaft machen, dass der Schuldner einen Betrag an den Treuhänder hätte abführen müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. September 2011 – IX ZB 133/08, ZInsO 2011, 2101 Rn. 7). Diesen Anforderungen genügt der Versagungsantrag der weiteren Beteiligten zu 1 nicht. Weder hat sie vorgetragen, dass der Schuldner an den Treuhänder nicht den Betrag abgeführt hat, den er bei Ausübung einer vergleichbaren abhängigen Tätigkeit nach dem üblichen Lohnniveau hätte abführen müssen, noch hat sie glaubhaft gemacht, welche abhängige Tätigkeit dem Schuldner möglich gewesen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Mai 2011 – IX ZB 224/09, NZI 2011, 596 Rn. 7; vom 12. Juli 2011 – IX ZB 270/11, NZI 2012, 721). Vielmehr ist das Beschwerdegericht – ohne dass dies von der Rechtsbeschwerde angegriffen wird – davon ausgegangen, dass der Schuldner nach seinem unbestrittenen Vortrag aufgrund seiner Insolvenz und der sich daraus ergebenen negativen Listung in der zentralen Auskunft über Versicherungskaufleute (AWAD) als Versicherungskaufmann keine Anstellung mehr gefunden hätte. In welchen anderen Branchen der zum Beginn der Wohlverhaltensphase 57-jährige, aufgrund mehrerer Herzinfarkte gesundheitlich schwer angeschlagene Schuldner zu welchen Bedingungen hätte Anstellung finden können, hat die Gläubigerin nicht dargelegt (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Mai 2011, aaO Rn. 8). Dass der Schuldner weiterhin notgedrungen einer selbständigen Tätigkeit nachgegangen ist, ersetzt Vortrag über das angemessene Dienstverhältnis und die Glaubhaftmachung nicht.

3. Im Übrigen wird von einer Begründung abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
beizutragen (§ 4 InsO, § 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO).

 

               Kayser                             Gehrlein                         Fischer                     Grupp                          Möhring

 

Vorinstanzen:

AG Münster, Entscheidung vom 19.02.2008 – 77 IN 35/01
LG Münster, Entscheidung vom 03.05.2011 – 5 T 524/08

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Wolfgang N. Sokoll

Rechtsanwalt und Mediator Wolfgang N. Sokoll war bis Ende November 2016 bei WK LEGAL Ihr Ansprechpartner für das Arbeitsrecht, das Insolvenzrecht, das Versicherungsrecht, das Forderungsmanagement, die Zwangsvollstreckung und die außergerichtliche Streitbeilegung insbesondere im Wege der Mediation. Seit dem erreichen Sie ihn in seiner Anwaltskanzlei in Berlin Charlottenburg in der Hardenbergstraße 12 telefonisch unter 030 120857200, per Fax unter 030 120857209 und per E-Mail unter info@mediation-recht.net.

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