EuGH: Recht auf Vergessenwerden
Der EuGH hat in seinem Urteil vom 24. September 2019 (Az. […]
„Mein Arbeitgeber hat mir nach dem Wechsel in eine Teilzeitbeschäftigung Resturlaub aus dem Vorjahr gekürzt. Ist das rechtens?“
Diese Frage stellte mir neulich eine Mandantin. Sie war nach längerer Arbeitsunfähigkeit Anfang 2013 in ihren Job zurück gekehrt und arbeitete nach einer Reduzierung der Wochenarbeitszeit nunmehr 3 statt wie bisher 5 Tage. Nachdem Ihr zunächst der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch von 20 Tagen als Resturlaubsanspruch für das Jahr 2012 mitgeteilt wurde, korrigierte sich die Personalabteilung und gewährte nur noch 12 Tage Resturlaub.
Wechselt ein Mitarbeiter von Vollzeit in Teilzeit, reduziert sich sein gesetzlicher Mindesturlaubsanspruch entsprechend. Was aber geschieht mit Resturlaub, den der Mitarbeiter noch während der Vollzeitbeschäftigung erworben aber nicht genommen hat?
Der Anwalt für Arbeitsrecht
Aus anwaltlicher Sicht war die Antwort eindeutig: „Ihr Arbeitgeber verhält sich rechtswidrig, wenn er Ihnen den Resturlaub aus dem Vorjahr aufgrund Ihrer jetzigen Teilzeitbeschäftigung kürzt.“
Mit dieser Antwort wendete sich meine Mandantin wieder an ihre Personalabteilung, welche jedoch weiterhin die Ansicht vertrat, die Reduzierung sei zulässig. Parallel hatte sich unsere Mandantin an ihren Betriebsrat gewendet und von diesem folgende rechtliche Einschätzung erhalten.
Der Betriebsrat
Der Betriebsrat teilte unserer Mandantin schriftlich mit, dass die Rechtsansicht der Personalabteilung korrekt sei. Da unsere Mandantin nur noch 3 Tage pro Woche arbeite, habe sie auch nur Anspruch auf einen entsprechend reduzierten gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch. Dies gelte ebenfalls rückwirkend für den Resturlaubsanspruch für das Jahr 2012, der folglich zu reduzieren sei.
Damit lag der Betriebsrat, der immerhin die Interessen der Arbeitnehmer vertreten sollte, jedoch gänzlich falsch bzw. vertrat eine seit dem Jahr 2010 veraltete Rechtsansicht.
Das Bundesarbeitsgericht (früher)
Nach der früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht (BAG) reduzierte sich rückwirkend auch der Resturlaubsanspruch, da die Berechnung des gesetzlichen Urlaubsanspruchs nach den Wochenarbeitstagen erfolge „Wenn sich die Verteilung der Arbeitszeit ändert, ändert sich im gleichen Verhältnis die Anzahl der Urlaubstage. Dieses gilt auch für aus dem Vorjahr übertragenen Resturlaub.“ So das BAG in seiner Begründung zu seiner Entscheidung 28.04.1998 – 9 AZR 314/97.
Der Europäische Gerichtshof
Dieser, nicht nur in Deutschland, vertretenen Rechtsansicht widersprach der Europäische Gerichtshof in seiner sogenannten „Tirol-Entscheidung“ (Urteil vom 22.04.2010 – C-486/08) deutlich. In den Entscheidungsgründen heißt es:
„Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass das einschlägige Unionsrecht, insbesondere Paragraf 4 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81 in der durch die Richtlinie 98/23 geänderten Fassung, dahin auszulegen ist, dass es einer nationalen Bestimmung wie § 55 Abs. 5 L?VBG entgegensteht, nach der bei einer Änderung des Beschäftigungsausmaßes eines Arbeitnehmers das Ausmaß des noch nicht verbrauchten Erholungsurlaubs in der Weise angepasst wird, dass der von einem Arbeitnehmer, der von einer Vollzeit- zu einer Teilzeitbeschäftigung übergeht, in der Zeit der Vollzeitbeschäftigung erworbene Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, dessen Ausübung dem Arbeitnehmer während dieser Zeit nicht möglich war, reduziert wird oder der Arbeitnehmer diesen Urlaub nur mehr mit einem geringeren Urlaubsentgelt verbrauchen kann.“
Zusammengefasst
Resturlaub, welcher noch während der Vollzeitbeschäftigung erworben wurde, darf nicht auf eine später begründete Teilzeitbeschäftigung herunter gerechnet werden.
Der vorliegende Fall zeigt einmal mehr, wie wenig sich Personalabteilungen und Betriebsräte mit einschlägiger Rechtsprechung, insbesondere der des Europäischen Gerichtshofs, auseinandersetzen. Dass der Arbeitgeber im Zweifel seine eigenen Interessen vertritt, mag noch nachvollziehbar sein. Die gänzlich falsche, bzw. veraltete Auskunft des Betriebsrates ist unseres Erachtens hingegen äußert bedenklich, da er die Arbeitnehmerinteressen bestmöglich vertreten sollte.
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Rechtsanwalt Stefan Weste (M.B.L.) war bis zum 31.08.2018 Partner der Kanzlei WK LEGAL am Standort Berlin. Zu seinen Tätigkeitsschwerpunkten gehörten die Bereiche Arbeitsrecht, Mergers & Acquisitions, Intellectual property sowie das Vertragsrecht.
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