EuGH: Um 1 Stunde vorverlegter Flug gilt als „annuliert“

Guido Kluck, LL.M. | 8. Juli 2022

Für Flugreisende ist es interessant zu wissen, dass ein Flug als annulliert gilt, wenn die Fluggesellschaft ihn um mehr als eine Stunde vorverlegt. Den Passagieren sei nicht zuzumuten, sich so zu beeilen, dass die den Flug noch bekommen. Sie können stattdessen die volle Entschädigung verlangen. So entschied der EUGH in mehreren Urteil vom 21.12.2021 (Rs. C-146/20, C-188/20, C-196, C-270/20, C-263/20, C-395/20).

Alles was Sie zu diesem Thema wissen müssen, erfahren Sie auf unserem Blog!

Worum ging es?

Im Großen und Ganzen ging es um mehrere Rechtsstreitigkeiten zwischen Fluggästen sowie den Unternehmen Airhelp und flightright auf der einen Seite und den Fluggesellschaften Azurair, Corendon Airlines, Eurowings, Austrian Airlines und Laudamotion auf der anderen Seite. Die Fluggäste bzw. die Unternehmen, an die sie ihre Ansprüche abgetreten haben, verlangen Ausgleichszahlungen wegen der Annullierung von Flügen. 

Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH

Die Gerichte legten dem EuGH eine Reihe von Fragen zu den Voraussetzungen vor, unter denen Fluggäste die in der Verordnung über Fluggastrechte (261/2004) vorgesehenen Ansprüche geltend machen können. Gelten auch verfrühte Flüge als annulliert? 

EuGH: Auch verfrühte Flüge gelten als annuliert

Der EuGH stellte nun fest: Ein Flug sei als „annulliert“ anzusehen, wenn die Fluggesellschaft ihn um mehr als eine Stunde vorverlegt. Das gilt jedoch nur, sofern sie dies nicht rechtzeitig (mindestens 2 Wochen vorher) mitgeteilt hat.

Rechtlicher Hintergrund zur Entscheidung der Richter am EuGH

Die Richter würdigten mit ihrer Entscheidung, dass eine Vorverlegung für die Fluggäste in gleicher Weise wie eine Verspätung zu schwerwiegenden Unannehmlichkeiten führen kann. Eine Vorverlegung nimmt den Fluggästen beispielsweise die Möglichkeit, frei über ihre Zeit zu verfügen und ihre Reise oder ihren Aufenthalt nach Maßgabe ihrer Erwartungen zu gestalten. 

„So könne die neue Abflugzeit den Fluggast u. a. zwingen, erhebliche Anstrengungen zu unternehmen, um seinen Flug zu erreichen. Es könne sogar sein, dass er, obwohl er alle erforderlichen Vorkehrungen getroffen hat, das Flugzeug nicht nehmen kann.“

Wie bildet sich der Anspruch?

Der Anspruch entsteht in der Kombination aus der erhebliche Vorverlegung des Fluges bei gleichzeitig zu später Information an den Fluggast. 

Zusammensetzung des Ausgleichsanspruchs: Im Falle eines Anspruchs, ist immer der Gesamtbetrag zu zahlen – d. h., je nach Entfernung, 250 Euro, 400 Euro oder 600 Euro. 

Rechtstipp: Die Fluggesellschaft hat übrigens nicht die Möglichkeit, eine etwaige Ausgleichszahlung um 50 % zu kürzen, mit der Begründung, dass es dem Fluggast eine anderweitige Beförderung angeboten habe, mit der er sein Endziel ohne Verspätung habe erreichen können.

Unterrichtung des Vermittlers reicht nicht aus

Wenn der Fluggast den Flug über einen Vermittler (etwa einer elektronischen Plattform) gebucht hat, reicht es grundsätzlich nicht aus, dass das Flugunternehmen dem Vermittler diese Vorverlegung rechtzeitig mitgeteilt hat, sofern der Vermittler diese Information nicht an den Fluggast weitergegeben hat. Der Fluggast muss also grundsätzlich immer informiert werden. 

Rechtstipp: Hat jedoch der Reiseveranstalter den Fluggast nicht rechtzeitig informiert, kann die Airline nur den Veranstalter in Regress nehmen. 

Fazit 

Der EuGH stellte in diesen Urteilen deutlich klar, inwiefern die Fluggesellschaft für Ausgleichansprüche einzustehen hat und wie weit die Auskunfts- und Informationspflichten im Falle einer Verlegung von Flügen reicht. 

Darüber hinaus entschied der EuGH, dass Fluggäste keinen Flugschein der Fluggesellschaft benötigen, um die Ansprüche geltend zu machen. Es reicht aus, wenn von seinem Reiseunternehmen einen Beleg erhalten hat, aus dem Abflug- und Ankunftsort, Abflug- und Ankunftszeit und Flugnummer hervorgehen.

Wir berichteten schon auf unserem Blog über die Entscheidung des EuGH wegen verspäteter Teilflüge und über den örtliche Zuständigkeit bei Klagen.

Wenn Sie Fragen zum Thema Reiserecht haben, melden Sie sich bei uns! Unser spezialisiertes Team steht Ihnen schnell und unkompliziert zur Seite und berät Sie gern.

Jetzt teilen:

Guido Kluck, LL.M.

Rechtsanwalt Guido Kluck LL.M. ist Partner der Kanzlei LEGAL SMART am Standort Berlin. Er ist Ansprechpartner für das Recht der neuen Medien sowie für die Bereiche Wettbewerbsrecht, Markenrecht, Urheberrecht, IT-Recht, Vertragsrecht und das Datenschutzrecht (DSGVO).

ÜBER DIESEN AUTOR ARTIKEL VON DIESEM AUTOR

Das könnte Sie auch interessieren

5. Dezember 2019

Tracking-Tools und die DSGVO

Viele Webseitenbetreiber verwenden Tracking-Tools. Diese sind durchaus nützlich, aber erfordern meist […]

Holen Sie sich Unterstützung

SIE HABEN NOCH FRAGEN?

Online Termin vereinbaren

Buchen Sie direkt online Ihren Termin für eine kostenlose Erstberatung. Der für Sie zuständige Rechtsanwalt wird Sie dann zu dem von Ihnen ausgewählten Termin anrufen.

Antworten per WhatsApp

LEGAL SMART beantwortet rechtliche Fragen auch per WhatsApp. Schreiben Sie uns einfach an und stellen Sie Ihre Frage. Antworten gibt es anschließend direkt auf Ihr Handy.

LEGAL SMART Anwaltshotline

Viele Fragen lassen sich mit einem Profi in einem kurzen Gespräch rechtssicher klären. Mit der LEGAL SMART Anwaltshotline steht Ihnen unser Anwaltsteam für Ihre Fragen zur Verfügung. Bundesweite Beratung über die kostenlose Anwaltshotline unter 030 - 62 93 77 980.

LEGAL SMART RECHTSPRODUKTE

ANWALTLICHE LEISTUNG ZUM FESTPREIS

LEGAL SMART Rechtsprodukt Markenanmeldung EU
899,00 €

Markenanmeldung EU

Mit der EU Marke ist Ihre Marke europaweit geschützt und sichert Sie und Ihre Marke vor parallelen Marken in anderen europäischen Staaten. Nutzen Sie jetzt Ihre Chance auf Ihre EU Marke

LEGAL SMART Rechtsprodukt Patientenverfügung
99,00 €

Patientenverfügung

Überlassen Sie Ihre Behandlung im Ernstfall nicht dem Zufall. Bestimmen Sie mit einer Patientenverfügung selbst, welche Behandlung Sie wünschen und welche nicht.

MEHR PRODUKTE Anwaltliche Leistung zum Festpreis

LEGAL SMART Rechtsanwaltsgesellschaft mbH

LEGAL SMART ist die Legal Tech Kanzlei für wirtschaftsrechtliche Themen. Durch konsequente Prozessoptimierung interner und externer Prozesse bieten wir neue Lösungen für verschiedene Fragestellungen. So ist das Recht für jeden zugänglich; schnell, digital und trotzdem mit der Expertise und Kompetenz einer erfahrenen Wirtschaftsrechtskanzlei. Denn Legal Tech ist mehr als nur der Einsatz von Technologie. Legal Tech ist die Bereitstellung juristischer Kompetenz.