Musterfeststellungsklage – Was bringt sie tatsächlich?
Den Begriff Musterfeststellungsklage haben viele schon mal gehört. Ging durch die […]
Das dürfte den Betreibern von privaten Carsharing-Plattformen wie Drivy oder Turo gar nicht gefallen: Nachdem die Süddeutsche Zeitung am 28. Februar 2019 noch darüber berichtete, wie man mit dem eigenen Auto Geld verdienen kann, hat nun das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg ganz aktuell über das Verhältnis der eigenen KfZ-Versicherung der Nutzer der Plattform und der von Drivy angebotenen Versicherung über die Allianz, die während der Mietzeit gelten soll, entschieden. Doch so wie gedacht, scheint das Konzept nicht aufzugehen. Das Gericht gestattet grundsätzlich eine Erhöhung der Versicherungsprämie der privaten Kfz-Versicherung der Nutzer, die Drivys Geschäftsmodell ins Wanken bringen könnte.
Plattformen wie Drivy bieten Fahrzeughaltern die Möglichkeit, ihr Auto stundenweise oder auch für mehrere Tage an Dritte zu vermieten. Dafür müssen sie sich und ihr Fahrzeug auf der entsprechenden Webseite registrieren. Mietinteressenten können dann unter Anwendung verschiedener Filter nach einem passenden Fahrzeug für den gewünschten Mietzeitraum suchen und es „buchen“.
Drivy und Co dienen also als Vermittler. Sie bringen Vermieter und Mieter zusammen, kümmern sich um die reibungslose Abwicklung und bieten in Kooperation mit der Allianz eine „vollumfassende Versicherung“ an, die „während der Zeit der Anmietung deine normale Versicherung“ ersetzt – damit wirbt zumindest die Drivy SAS auf ihrer Webseite. Die Fahrzeughalter sind dazu verpflichtet, diese Versicherung abzuschließen, ohne diese ist eine Nutzung des Angebots von Drivy nicht möglich. Die Versicherung beinhaltet eine Haftpflichtversicherung sowie einen Teil- und Vollkaskoschutz mit einem Selbstbehalt ab 900 Euro bzw. reduziert ab 250 Euro, der vom Mieter im Schadensfall zu tragen ist.
Mit einem über die Plattform Drivy gemieteten Fahrzeug kam es von der Mieterin zu einem Unfall. Aufgrund dieses Unfalls erlangte die Haftpflichtversicherung der Fahrzeugbesitzerin Kenntnis von diesem Umstand, dass das Fahrzeug vermietet wurde. Auch wenn die über die Plattform einbezogene Versicherung den eingetretenen Schaden regulierte, nahm die Haftpflichtversicherung der Fahrzeugbesitzerin, hier die VHV Versicherung, dies zum Anlass einer Nachberechnung. Die Fahrzeugeigentümerin hatte nämlich bei Abschluss der Versicherung angegeben, dass sie das Fahrzeug alleine nutzen würde. Als sie später entschied das Fahrzeug bei Drivy zu vermieten, unterrichtete die Fahrzeugbesitzerin ihre Versicherung hiervon nicht, da sie davon ausging, dass durch die zusätzlicher Allianz Versicherung eine ausreichende Versicherung vorhanden sei. Als die VHV durch den Unfall nun von der Vermietung Kenntnis erlangte, verlangte sie von der Fahrzeugbesitzerin eine deutlich erhöhte Prämie, nämlich mit einem Tarif für ein Mietfahrzeug mit einer unbestimmten Anzahl von wechselnden Fahrern. Die VHV Versicherung verlangte mehr als 3.000,00 Euro von der Fahrzeugbesitzerin. Als diese den Zahlungsanspruch zurückwies, verklagte die VHV die Fahrzeugbesitzerin auf Zahlung vor dem Amtsgericht Berlin Tempelhof-Kreuzberg.
Die Versicherung über die Allianz ersetzt nach Ansicht des Gerichts nicht die eigene Kfz-Haftpflichtversicherung (Urt. v. 27.02.2019 – 24 C 71/18). Es erklärt vielmehr, dass durch das Carsharing nicht nur der Versicherungsnehmer, also der Fahrzeughalter, sondern auch Dritte das Fahrzeug nutzen, ein sogenannter gefahrerhöhender Umstand eintritt, der gemäß § 19 Abs. 1 VVG anzeigepflichtig ist. Das wiederum hat zur Folge, dass dieser Umstand rückwirkend Vertragsbestandteil wird und die Versicherungsgesellschaft die Prämie anheben darf. Dies gilt sowohl rückwirkend als auch für die Zukunft. Die Rückwirkung ergibt sich aus dem Versicherungsvertrag i.V.m. den Versicherungsbedingungen bzw. aus § 19 Abs. 4 S. 2 VVG. Die Erhöhung für zukünftige Beiträge ebenso aus Vertrag bzw. § 25 Abs. 1 S. 1 VVG.
Da es nach Ansicht des AG Tempelhof-Kreuzberg gemäß §§ 115 Abs. 1 S. 2, 117 VVG, § 3 PlfVG möglich ist, dass die eigene Versicherung gegenüber dem geschädigten Dritten zur Leistung verpflichtet ist, obwohl eine zusätzliche Versicherung mit der Allianz geschlossen wurde, liegt trotz dieser Zusatz-Versicherung ein gefahrerhöhender Umstand vor. Die Versicherungsgesellschaft hat nämlich keinerlei Einfluss auf den anderen Versicherungsvertrag, dessen Obliegenheiten und Erfüllung.
Auch der Einwand der Fahrzeughalterin, dass sie das Fahrzeug nahezu ausschließlich selbst nutze, ändert nichts an der Gefahrerhöhung. Das Gericht führt dazu aus, dass die Versicherungsgesellschaft nicht wissen kann, wie oft das Fahrzeug an Dritte weitergegeben wird. Ausschlaggebend ist für das Gericht der Umstand, dass die Versicherungsnehmerin nicht mehr die alleinige Nutzerin des Fahrzeugs ist. Und die Versicherungsprämie für einen erweiterten Personenkreis ist eben teurer.
In dem konkreten Fall scheiterte die Prämienerhöhung jedoch an dem Umstand, dass die Klägerin (VHV Versicherung) unwirksame Klauseln in ihren Versicherungsbedingungen verwendete. Die dadurch eingeräumte längere Frist für eine Prämienerhöhung ist nach Ansicht des Gerichts unwirksam. Sie weicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers von den Schutzvorkehrungen des § 19 VVG ab und verstößt damit gegen § 32 VVG. Die gesetzlich vorgeschriebene Monatsfrist für die rückwirkende Erhöhung gem. § 19 i.V.m. § 21 Abs. 1 S. 1, 2 VVG und für die Erhöhung für die Zukunft gem. §§ 25 Abs. 1 S. 2, 24 Abs. 3 VVG war aber abgelaufen, sodass eine Prämienerhöhung nicht mehr möglich war.
Für die Nutzer der Internetplattform Drivy bedeutet das bisher nicht rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg, dass die jeweilige Haftpflicht- bzw. Kaskoversicherung nachträglich eine teilweise drastische Erhöhung der Versicherungsprämien von den Fahrzeughaltern um mehrere hundert oder tausend Euro verlangen können. Nach der Ansicht des Gerichts auch rückwirkend ab dem Zeitpunkt der ersten Vermietung, falls die Fahrzeughalter die Vermietung bei ihrer Versicherung nicht angezeigt haben.
Und hieraus könnte sich dann auch ein erhebliches Problem für Drivy und alle anderen privaten Carsharing-Plattformen ergeben. Denn durch die erhöhten Versicherungsbeiträge der Fahrzeughalter dürften die Vermietungen für private Fahrzeugbesitzer in vielen Fällen unwirtschaftlich werden. Die erzielten Einnahmen aus der Vermietung würden, zu einem erheblichen Teil oder auch darüber hinaus, durch die erhöhten Versicherungsprämien aufgezehrt werden.
Wenn nun also die Kfz-Versicherung durch das Carsharing deutlich teurer wird, lohnt sich die Vermietung des eigenen Autos an Dritte für viele Nutzer derartiger Plattformen finanziell nicht mehr. Mal ganz abgesehen von der Zeit, die man in die Vermietung stecken muss, die potentiellen Schäden am Fahrzeug, die es auf Dauer zu einem Unfallwagen machen und der eingeschränkten Nutzbarkeit des eigenen Fahrzeugs im Alltag und Notfall. Hierdurch bedingt könnten daher viele Fahrzeughalter von der Nutzung privater Carsharing-Plattformen abgehalten werden, was dann wiederum Auswirkungen auf die Plattformen selbst hätte und das Geschäftsmodell ggf. sogar zunichtemachen könnte.
Sofern die Rechtsprechung weiterhin einen gefahrerhöhenden Umstand annimmt und die Vermietung des Autos über eine Carsharing-Plattform somit nicht mehr attraktiv für die registrierten Nutzer ist, kann man für Drivy und Co sowie deren Nutzer nur hoffen, dass sie eine Lösung für diese Situation finden werden.
Rechtsanwalt Guido Kluck LL.M. ist Partner der Kanzlei LEGAL SMART am Standort Berlin. Er ist Ansprechpartner für das Recht der neuen Medien sowie für die Bereiche Wettbewerbsrecht, Markenrecht, Urheberrecht, IT-Recht, Vertragsrecht und das Datenschutzrecht (DSGVO).
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