Anhörung vor einstweiliger Verfügung

Guido Kluck, LL.M. | 10. Juni 2020

Das Bundesverfassungsgericht musste sich erneut mit dem Thema Anhörung im äußerungsrechtlichen Eilverfahren beschäftigen. Die Richter entschieden per Beschluss vom 03.06.2020 (Az. 1 BvR 1246/20), dass eine Anhörung des Betroffenen immer erfolgen muss, auch dann, wenn wegen Eilbedürftigkeit keine mündliche Verhandlung durchgeführt wird.

Streit zwischen Polizeigewerkschaften

In dem Verfahren, mit dem das Bundesverfassungsgericht beschäftigt war, ging es um einen Streit zwischen zwei Polizeigewerkschaften, in dem eine Äußerung bei der Vorbereitung der Personalratswahlen der Bundespolizei moniert wurde.

Aufgrund des Corona-Virus wollten sowohl der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) als auch die Bundespolizeigewerkschaft (DPolG) die Wahl verschieben. Dies lehnte der Hauptwahlvorstand jedoch ab. Er wollte die Wahlen regulär durchführen. Daraufhin postete die DPolG das folgende Statement auf ihrer Webseite:

Ohne Rücksicht auf Verluste – DPolG und BdK fassungslos! GdP-geführter Hauptwahlvorstand hält am Wahltermin fest und vergibt große Chance!

[…] Da es keine sachlichen Gründe gegen eine Verschiebung der Wahl gibt und es bei der Ablehnung unserer Initiative offenbar ausschließlich darum ging, Machtspielchen auf dem Rücken der Beschäftigten der Bundespolizei auszutragen, ist es jetzt um so wichtiger, von Ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen und das Kreuz an die richtige Stelle des Stimmzettels zu setzen. […]

Der Streit geht vor Gericht

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) forderte die DPolG erfolglos zur Unterlassung auf. Daraufhin stellte sie vor dem LG Berlin einen Antrag auf einstweilige Verfügung, um die DPolG zur Unterlassung zu bewegen.  Das LG Berlin gab einem Hilfsantrag statt, ohne eine mündliche Verhandlung durchzuführen – und ohne die DPolG anzuhören. Die DPolG soll es unterlassen, zu behaupten, „der GdP-geführte Hauptwahlvorstand habe sich aus dem Gesetzespaket nur den Teil herausgesucht, der ihm genehm war, nämlich die Durchführung der Briefwahl, oder zu behaupten, dass es keine sachlichen Gründe gebe, die gegen eine Verschiebung der Wahl sprächen.“ Diese Stattgabe erfolgte ohne eine Begründung.

Gegen den Beschluss legte die DPolG Widerspruch ein, weshalb darauffolgend ein Termin für eine mündliche Verhandlung anberaumt wurde, leider aber erst im Juli. Das war der DPolG zu spät. Sie wendete sich an das Bundesverfassungsgericht und erhob Verfassungsbeschwerde und eine einstweilige Verfügung. Die DPolG rüge eine Verletzung ihrer prozessualen Waffengleichheit im einstweiligen Verfügungsverfahren.

Das Bundesverfassungsgericht bemängelt fehlende Anhörung

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erklärt, dass hier eine einstweilige Anordnung zulässig und begründet ist, da durch die Entscheidung des LG Berlin erhebliche Nachteile für die DPolG drohen. Die DPolG ist nach Ansicht des BVerfG in ihrem Recht auf prozessuale Waffengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 i.V.m. mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt.

Unter der prozessualen Waffengleichheit versteht man den Grundsatz, dass beide Parteien vor Gericht gleichwertig sind und dieselben Möglichkeiten haben müssen, Ihre Ansichten vorzutragen und sich zu verteidigen. Dazu gehört auch die Anhörung. Durch diese wird der Gegenseite die Möglichkeit gegeben, auf die Entscheidung des Gerichts einzuwirken und darf ihr nicht entzogen werden. Ausnahmen gibt es nur, wenn sonst der Zweck des einstweiligen Verfügungsverfahrens vereitelt würde.

Anhörung auch im Verfahren ohne mündliche Verhandlung

Bei Dringlichkeit dürfen die Gerichte zwar ohne mündliche Verhandlung entscheiden, allerdings darf eine stattgebende Entscheidung auch dann nur erfolgen, wenn die Gegenseite eine Möglichkeit zur Stellungnahme hatte. Es hat eine Anhörung zu erfolgen, wenn die andere Partei „nicht in der gehörigen Form abgemahnt wurde oder der Antrag vor Gericht in anderer Weise als in der Abmahnung oder mit ergänzendem Vortrag begründet wird. Gehör ist auch zu gewähren, wenn das Gericht dem Antragsteller Hinweise nach § 139 ZPO erteilt, von denen die Gegenseite sonst nicht oder erst nach Erlass einer für sie nachteiligen Entscheidung erfährt“.

Waffengleichheit muss durch Anhörung hergestellt werden

Das BVerfG erklärt, dass hier eine Anhörung hätte stattfinden müssen, weil sonst die prozessuale Waffengleichheit im vorliegenden Fall nicht gegeben ist. Zwar wurde die DPolG abgemahnt, doch vor Gericht hätte der DPolG die Chance gegeben werden müssen, auf die Replik der GdP zu reagieren, zumal die Antragsbegründung des GdP viel ausführlicher war als ursprünglich in der Abmahnung und der Verfügungsantrag später noch ergänzt wurde.

Auch eine Verzögerung des Verfahrens durch eine Möglichkeit zur Stellungnahme muss dabei in Kauf genommen werden. Immerhin kann das Gericht die Fristen selbst bestimmen und kurz halten.

Sie haben Fragen zur Anhörung oder einstweiligen Verfügung?

Dann wenden Sie sich gerne an unsere Kanzlei. Wir helfen Ihnen umgehend!

Jetzt teilen:

Guido Kluck, LL.M.

Rechtsanwalt Guido Kluck LL.M. ist Partner der Kanzlei LEGAL SMART am Standort Berlin. Er ist Ansprechpartner für das Recht der neuen Medien sowie für die Bereiche Wettbewerbsrecht, Markenrecht, Urheberrecht, IT-Recht, Vertragsrecht und das Datenschutzrecht (DSGVO).

ÜBER DIESEN AUTOR ARTIKEL VON DIESEM AUTOR

Das könnte Sie auch interessieren

Holen Sie sich Unterstützung

SIE HABEN NOCH FRAGEN?

Online Termin vereinbaren

Buchen Sie direkt online Ihren Termin für eine kostenlose Erstberatung. Der für Sie zuständige Rechtsanwalt wird Sie dann zu dem von Ihnen ausgewählten Termin anrufen.

Antworten per WhatsApp

LEGAL SMART beantwortet rechtliche Fragen auch per WhatsApp. Schreiben Sie uns einfach an und stellen Sie Ihre Frage. Antworten gibt es anschließend direkt auf Ihr Handy.

LEGAL SMART Anwaltshotline

Viele Fragen lassen sich mit einem Profi in einem kurzen Gespräch rechtssicher klären. Mit der LEGAL SMART Anwaltshotline steht Ihnen unser Anwaltsteam für Ihre Fragen zur Verfügung. Bundesweite Beratung über die kostenlose Anwaltshotline unter 030 - 62 93 77 980.

LEGAL SMART RECHTSPRODUKTE

ANWALTLICHE LEISTUNG ZUM FESTPREIS

LEGAL SMART Rechtsprodukt Vorsorgevollmacht
99,00 €

Vorsorgevollmacht

Bestimmen Sie selbst, wer Sie vertreten soll, wenn Sie Ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln können. Mit einer Vorsorgevollmacht können Sie hierzu alles selbst bestimmen.

LEGAL SMART Rechtsprodukt Patientenverfügung
99,00 €

Patientenverfügung

Überlassen Sie Ihre Behandlung im Ernstfall nicht dem Zufall. Bestimmen Sie mit einer Patientenverfügung selbst, welche Behandlung Sie wünschen und welche nicht.

LEGAL SMART Rechtsprodukt Vertragscheck
299,00 €

Vertragscheck

Machen Sie keine Kompromisse. Lassen Sie Ihren Vertrag anwaltlich prüfen, bevor Sie ihn unterschreiben. Professionell und zum Festpreis.

MEHR PRODUKTE Anwaltliche Leistung zum Festpreis

LEGAL SMART Rechtsanwaltsgesellschaft mbH

LEGAL SMART ist die Legal Tech Kanzlei für wirtschaftsrechtliche Themen. Durch konsequente Prozessoptimierung interner und externer Prozesse bieten wir neue Lösungen für verschiedene Fragestellungen. So ist das Recht für jeden zugänglich; schnell, digital und trotzdem mit der Expertise und Kompetenz einer erfahrenen Wirtschaftsrechtskanzlei. Denn Legal Tech ist mehr als nur der Einsatz von Technologie. Legal Tech ist die Bereitstellung juristischer Kompetenz.