Der Bundesgerichtshof (BGH) urteilte am 06. Oktober 2022 (Az. VII ZR 895/21), dass für den Zugang einer E-Mail die Abrufbarkeit auf dem Mailserver des Empfängers innerhalb der üblichen Geschäftszeiten entscheidend ist. Ob und wann der Empfänger hingegen die elektronische Nachricht tatsächlich gelesen hat, spielt dabei keine Rolle.
Wir fassen für Sie das Urteil des Bundesgerichtshofs zusammen!
Sachverhalt
Die Parteien stritten um ein per E-Mail vorgeschlagenes Vergleichsangebot i.H.v. 14.000 Euro. Bei Annahme des Vergleichs sollten keinerlei weitere Forderungen geltend gemacht werden. Die Mail erreichte ihre Gegnerin an einem Werktag zur Geschäftszeit.
Eine Dreiviertelstunde später schrieb die Partei, die den Vergleich vorschlug erneut eine E-Mail: Eine abschließende Prüfung der Forderung sei noch nicht erfolgt. Die vorherige E-Mail sei daher nicht zu berücksichtigen.
Einige Tage später legte der Absender des Vergleichsangebots eine neue Schlussrechnung i.H.v. 22.000 Euro vor. Die Bauherrin zahlte eine Woche später jedoch die Summe des Vergleichsangebots.
Für die noch offenen 8.000 Euro zog das Unternehmen erfolglos vor das Landgericht Berlin.
Weder das Kammergericht noch der Bundesgerichtshof gaben ihr Recht!
Wie sieht die Lage rechtlich aus?
Rechtlich gesehen kommt es auf das Angebot und die Annahme einer Willenserklärung an. Nach Ansicht des BGH ist daher die geforderte Restsumme i.H.v. 8.000 Euro erloschen. Wenn ein Vergleich nach § 779 BGB erklärt wird, so wird es mit Zahlung der Vergleichssumme angenommen.
Rechtstipp: Nach § 779 I BGB wird ein Vertrag, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird (Vergleich), unwirksam, wenn der nach dem Inhalt des Vertrags als feststehend zugrunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht und der Streit oder die Ungewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden sein würde.
Wie ist es aber, wenn die Willenserklärung widerrufen wird?
Wird die Willenserklärung entzogen, so kommt es darauf an, ob sie vor dem Zugang der Erkläung oder zumindest gleichzeitig mit dem Zugang der Erklärung widerrufen wird (vgl. § 130 I BGB).
Widerruf kam zu spät!
In diesem Fall kam der Widerruf also eindeutig zu spät. Er ist erst 45 Minuten später erfolgt, weshalb die Willenserklärung nicht einfach widerrufen werden kann. Es kommt daher nicht darauf an, wann eine E-Mail als zugegangen gilt, wenn es um eine E-Mail geht, die zu üblichen Geschäftszeiten an eine im unternehmerischen Verkehr benutzte Adresse gesendet wird. Demnach sei die auf dem Mailserver abrufbereite E-Mail als zu diesem Zeitpunkt zugegangen zu bewerten.
Rechtstipp: Bezüglich des Zugangs einer E-Mail kommt es nicht auf die Kenntnisnahme oder den tatsächlichen Abruf einer der Nachricht an.
Fazit
Ein Vergleich wird mit Zahlung der Vergleichssumme angenommen. Wird keine Antwortfrist gesetzt, so richtet sich die Zahlungsfrist nach § 147 II BGB: „Der einem Abwesenden gemachte Antrag kann nur bis zu dem Zeitpunkt angenommen werden, in welchem der Antragende den Eingang der Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten darf.“
Im Ergebnis schränkt die Eigenheit einer E-Mail, den Adressaten kurz nach Absendung zu erreichen, die Möglichkeit, ein Vergleichsangebot durch eine weitere E-Mail zu widerrufen, erheblich ein.
Für Sie bedeutet das, dass eine zu üblichen Geschäftszeiten im unternehmerischen Verkehr versendete Nachricht zu geht, sobald sie abrufbereit vorliegt. Hier kommt es nicht auf eine tatsächliche Kenntnisnahme an.
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