Das atemlose Festival der Liebe?

Guido Kluck, LL.M. | 6. Januar 2015

Helene Fischers „Atemlos durch die Nacht“ war eines der erfolgreichsten Lieder 2014. Spätestens seit sich die Fußballnationalmannschaft nach ihrem WM-Erfolg als Helene Fischer Fans bekannten und sie daraufhin beim Empfang der Weltmeister vor geschätzten 1 Millionen Menschen am Brandenburger Tor auftrat konnte der Song nicht mehr hinweggedacht werden.

Im Interview mit Bild.de behauptet der Schlagerkomponist Jack White nun, dass die ersten 12 Takte von „Atemlos durch die Nacht“ aus dem von ihm geschriebenen Stück „Ein Festival der Liebe“ durch die Atemlos-Komponistin Kristina Bach übernommen worden sein sollen. In der von Jack White gestern veröffentlichten Presseerklärung führt er aus:

„Zu den heutigen Presseberichten möchte ich folgende Erklärung abgeben:

Bei Helene Fischers „Atemlos“ ist in den ersten 12 Takten der Verse nicht eine einzige Note, die nicht von meiner Komposition „Ein Festival der Liebe“ übernommen worden ist.

Die ersten 8 Noten sind unstrittig 1:1 identisch. Die Noten 9 bis 12 sind eine Wiederholung der ersten vier Noten. Dann werden alle 12 Noten wiederholt, bevor „oho oho“ kommt, was kompositorisch ebenfalls identisch ist mit „oho aha“ – was die Nation schon seit 40 Jahren mitsingt.
Ich bitte um Verständnis, dass ich mein Eigentum schützen möchte.“

Jack White“

Ob der Komponist Jack White berechtigt ist, „sein Eigentum (zu) schützen“ hängt zunächst davon ab, ob eine unberechtigte Übernahme einer urheberrechtlich geschützten Melodienfolge vorliegt. Hierfür müssten die von Jack White benannten 12 Takte für sich genommen bereits urheberrechtsschutzfähig sein.

Im Urheberrecht können auch Teile eines Musikwerkes Urheberrechtsschutz genießen, wenn sie für sich genommen den urheberrechtlichen Schutzvoraussetzungen genügen (vgl. zum Schutz von Werkteilen BGHZ 9, 262, 266 ff. – Lied der Wildbahn I; BGHZ 28, 234, 237 – Verkehrskinderlied; BGH, Urt. v. 23.6.1961 – I ZR 105/59, GRUR 1961, 631, 633 – Fernsprechbuch; zum Werkteilschutz bei Musikwerken Schricker/Loewenheim aaO § 2 UrhG Rdn. 122 m.w.N.). Dies ist immer dann der Fall, wenn diese Werkteile eine gewisse Individualität des Komponisten zum Ausdruck bringen. Dies ist nach der Ansicht der Rechtsprechung bei nur wenigen Tönen jedoch oft zu verneinen. Gleichwohl kommt es stets auf den Einzelfall an.

Würde der Komponist Jack White diese Hürde nehmen können und würden die ersten 8 Takte seiner Komposition „Ein Festival der Liebe“ als persönliche geistige Schöpfung mit gewisser Individualität angesehen werden, dann würden diese 8 Takte als Werk im urheberrechtlichen Sinn angesehen werden müssen.

Eine Rechtsverletzung würde an diesem Werk aber nur dann vorliegen, wenn es sich um eine Bearbeitung oder andere Umgestaltung des Originalwerkes gemäß §23 UrhG handelt. Das hat seinen Grund darin, dass bei der Bearbeitung auch in das Urheberpersönlichkeitsrecht eingegriffen wird. Der Werkschöpfer soll grundsätzlich davor geschützt werden, dass sein Werk entfremdet wird.

Keine Urheberrechtsverletzung würde hingegen vorliegen, wenn es sich um eine freie Benutzung des Originalwerkes handelt. Nach § 24 Abs. 1 UrhG darf ein selbständiges Werk, das in freier Benutzung des Werkes eines anderen geschaffen worden ist, ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werkes veröffentlicht und verwertet werden. Die für eine freie Benutzung nach § 24 UrhG erforderliche Selbständigkeit des neuen Werkes gegenüber dem benutzten Werk setzt zwar voraus, dass das neue Werk einen ausreichenden Abstand zu den entlehnten eigenpersönlichen Zügen des benutzten Werkes hält, wobei dies nur dann der Fall ist, wenn die entlehnten eigenpersönlichen Züge des älteren Werkes angesichts der Eigenart des neuen Werkes verblassen (BGHZ 122, 53, 60 – Alcolix; 141, 267, 280 – Laras Tochter; 175, 135 Tz. 29 – TV-Total). Dieses Recht erfährt jedoch in §24 Abs.2 UrhG eine Einschränkung, nämlich dann, wenn die Benutzung eines Werkes der Musik, durch welch eine Melodie erkennbar dem Werk entnommen und einem neuen Werk zugrunde gelegt wird.

Die Beurteilung der Frage der Nachbildung bzw. der Entnahme setzt grundsätzlich die Prüfung voraus, durch welche objektiven Merkmale die schöpferische Eigentümlichkeit des Originals bestimmt wird. Denn für die Frage der Entnahme sind nur die im Schutzbereich der älteren Melodien liegenden Übereinstimmungen urheberrechtlich bedeutsam. Der Vergleich der Übereinstimmungen im schöpferischen Bereich ermöglicht es, die Grenze zwischen den urheberrechtlich relevanten Benutzungshandlungen (in Form der Vervielfältigung oder Bearbeitung) und der zulässigen freien Benutzung zu ziehen (BGH in GRUR 1981, 267 , 269 Dirlada). Diese Übereinstimmungen sind im Einzelfall konkret festzustellen und darauf zu überprüfen, ob sie nach den Regeln des Anscheinsbeweises einen Rückschluss zulassen, dass der Komponist der jüngeren Melodie die ältere Melodie benutzt, das heißt gekannt und bewusst oder unbewusst bei seinem Schaffen darauf zurückgegriffen hat, wobei weitgehende Übereinstimmungen in der Regel die Annahme nahelegen, dass der Urheber des jüngeren Werkes das ältere Werk benutzt hat (BGH GRUR 1971, 266 , 268 Magdalenenarie; 1981, 267 , 269 – Dirlada).

„Atemlos“ würde daher die Rechte von Jack White nur dann verletzen, wenn die ersten 8 Takte des Songs „Atemlos“ mit den ersten 8 Takten des Songs „Ein Festival der Liebe“ identisch wären und es sich hierbei um eine Bearbeitung oder sonstige Umgestaltung handelt. Wird durch die Melodie des Liedes „Atemlos“ in den ersten zwölf Takten ein ausreichender Abstand zu dem Werk „Ein Festival der Liebe“ gehalten, dürfte es sich um eine zulässige freie Benutzung handeln, soweit diese 8 Takte keine für das Gesamtwerk prägende Melodie darstellen würden, die im Wege der freien Benutzung die Melodie des ursprünglichen Werkes erkennen lassen.

Auch wenn an die von Jack White nun geäußerte Ansicht eine Vielzahl von „wenn´s“ gebunden sind, so ist ihm zumindest In einem Punkt zuzustimmen: Es kommt für die Bewertung einer Urheberrechtsverletzung an der Melodie nicht darauf an, ob es in dem jeweiligen Text „Oohoo, oohoo“ oder „Oohoo, aahaa“ heißt.

 

Liegt eine Übereinstimmung vor? Vergleichen Sie selbst:

Jürgen Marcus – Ein Festival der Liebe (1973)

 

Helene Fischer – Atemlos (2014)

 

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Guido Kluck, LL.M.

Rechtsanwalt Guido Kluck LL.M. ist Partner der Kanzlei LEGAL SMART am Standort Berlin. Er ist Ansprechpartner für das Recht der neuen Medien sowie für die Bereiche Wettbewerbsrecht, Markenrecht, Urheberrecht, IT-Recht, Vertragsrecht und das Datenschutzrecht (DSGVO).

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