Gelebte Souveränität im Spannungsfeld Social Media
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Gerade unter Rechtsanwälten ist die Existenzberechtigung von Inkassounternehmen regelmäßig fraglich. Der Grund hierfür liegt darin begründet, dass Inkassounternehmen durch den Gesetzgeber dazu befähigt wurden, ohne juristische Ausbildung Rechtsdienstleistungen zu erbringen. Auch wurden Inkassounternehmen gegenüber Rechtsanwälten insoweit bevorteilt, dass sie erfolgsabhängig ihre Leistungen anbieten dürfen.
Gleichzeitig sind Inkassokosten mangels Effektivität nicht auf den Schuldner abwälzbar, wenn bekannt ist, dass der Schuldner gegen den Anspruch Einwendungen erheben wird. In diesem Fall, so die Rechtsprechung, hätte der Gläubiger direkt einen Rechtsanwalt mit der Vertretung seiner Interessen beauftragen können.
Wird jedoch ein Inkassounternehmen beauftragt, haben sich diese in der Vergangenheit unterschiedliche Methoden einfallen lassen, um die Forderung erfolgreich beizutreiben. Hierbei bewegen sich seriöse Inkassounternehmen innerhalb der gesetzlichen Grenzen und verfolgen eher die Methode der Penetranz, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Reagiert ein Schuldner auf ein Schreiben nicht, versuchen immer mehr Inkassounternehmen mit dem Schuldner telefonisch, per SMS und/oder per E-Mail Kontakt aufzunehmen. Reagiert der Schuldner hierauf immer noch nicht, versuchen die Inkassounternehmen den Schuldner persönlich aufzusuchen, um ihn zur Zahlung zu bewegen. Hierbei setzen Inkassounternehmen dann auf den Umstand, dass es den Schuldner peinlich ist, persönlich mit der Forderung konfrontiert zu werden. Auch die Ansprache von Nachbarn etc. könnte für Schuldner peinlich sein, so dass hierdurch die Zahlungswilligkeit des Schuldners bewirkt werden soll.
In einem persönlichen Gespräch mit einem Mitarbeiter eines Inkassounternehmens erfuhr ich vor wenigen Tagen, dass dort nunmehr ein weiterer Weg überlegt wird, um Schuldner zum Ausgleich der Forderung zu bewegen.
Es wird überlegt, den Schuldner zukünftig über die Social Network Plattform zu identifizieren und anschließend über die Pinnwand anzusprechen. Hierbei soll in unterschiedlichen Stufen Druck auf den Schuldner aufgebaut werden. Zunächst soll um Kontaktaufnahme zum Inkassounternehmen ersucht werden. Reagiert er hierauf nicht, werden die offenen Forderungen direkt auf der Pinnwand mitgeteilt und der Schuldner zur Zahlung aufgefordert werden.
Das Inkassounternehmen ist sich durchaus über die Bedeutung von Facebook im Leben des Schuldners bewusst. Insbesondere aufgrund dieser Bedeutung geht das Inkassounternehmen davon aus, dass es dem Schuldner vor seinen „Facebook-Freunden“ peinlich sein wird, als Schuldner stigmatisiert zu werden.
Unstreitig und mit dem Ziel des Inkassounternehmens soll die Facebook-Pinnwand zur Stigmatisierung des Schuldners verwendet werden. Der Schuldner wird gegenüber seinen Facebook-Freunden an den Pranger gestellt.
Die Rechtsprechung hat sich bereits in der Vergangenheit wiederholt mit der Zulässigkeit eines Internetprangers auseinandersetzen müssen. Als eine sog. Abmahnkanzlei auf die Idee kam, wegen Verletzung von Urheberrechten an Pornofilmen festgestellte Anschlussinhaber auf ihrer Internetseite zu veröffentlichen, wurde dieses Vorhaben u.a. durch eine einstweilige Verfügung des Landgericht Essen (AZ: 4 O 263/12) vom 30. August 2012 untersagt. Das Gericht begründete seine Entscheidung mit der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Betroffenen.
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst das Recht einer Person auf Selbstbestimmung. Dazu gehört auch, in gewählter Anonymität zu bleiben und die eigene Person nicht in der Öffentlichkeit dargestellt zu sehen (vgl. BVerfGE 35, S. 202; BVerfGE 54, S. 148). Durch die Nennung in einer sogenannten “Gegnerliste” würde der Schuldner in einer für jedermann zugänglichen Quelle genannt und dadurch in seinem Recht auf Anonymität verletzt. Hierbei sei u.a. maßgeblich, dass der Schuldner nicht am Markt auftrete, was bei Unternehmen regelmäßig anders zu beurteilen sei. Wer rechtsgeschäftlich nach außen tätig wird, muss Darstellungen eher erdulden, die auch bei neutraler Darstellung ein kritisches Element implizieren können. Soweit der Bezug zu einer Geschäftstätigkeit aber nicht besteht, hat der Grundsatz über die Selbstbestimmung einer Nutzung des Namens besondere Bedeutung. Hinzu komme weiter, dass durch die Nennung als Verletzer von Urheberrechten im Bereich der Erotikbranche das soziale Ansehen des Anschlussinhabers beeinträchtigt werden könne.
Ende 2012 untersagte das Verwaltungsgericht Berlin dann dem Bezirk Tempelhof-Schöneberg Gaststätten im Internet zu bewerten. Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass für eine schlechte Bewertung mit Prangerwirkung die gesetzliche Grundlage fehle. Jedenfalls dürften aber nur Informationen über festgestellte Verstöße veröffentlicht werde, nicht bloße „Zensuren“. Die praktizierte Mitteilung von Noten und Minuspunkten sei nicht aussagekräftig und diene daher nicht der Information des Verbrauchers. Für den Betrachter der Internetliste bleibe im Unklaren, welche Tatsachen sich hinter der Bewertung verbergen und ob es wirklich um Hygienemängel geht oder – wie im vorliegenden Fall – im Wesentlichen um Fragen der Betriebsorganisation.
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (APR) ist ein absolutes umfassendes Recht auf Achtung und Entfaltung der Persönlichkeit. Es wurde 1954 vom Bundesgerichtshof entwickelt und wird auf Art. 2 Abs. 1 GG (Freie Entfaltung der Persönlichkeit) in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG (Schutz der Menschenwürde) gestützt. Das Bundesverfassungsgericht hat die Bedeutung des APR in seinem Lebach-Urteil von 1973 herausgestellt. Das Bundesverfassungsgericht sieht es als Aufgabe des allgemeinen Persönlichkeitsrechts an, „im Sinne des obersten Konstitutionsprinzips der „Würde des Menschen“ (Art. 1 Abs. 1 GG) die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen zu gewährleisten, die sich durch die traditionellen konkreten Freiheitsgarantien nicht abschließend erfassen lassen; diese Notwendigkeit besteht namentlich auch im Blick auf moderne Entwicklungen und die mit ihnen verbundenen neuen Gefährdungen für den Schutz der menschlichen Persönlichkeit.“
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt die Persönlichkeit des Menschen in ihren verschiedenen Ausprägungen. Dabei unterscheidet die Rechtsprechung verschiedene Sphären der Persönlichkeit, deren Schutz unterschiedlich stark ausgeprägt ist. In dem hier betroffenen Rahmen könnte sowohl die Öffentlichkeitssphäre, als auch die Sozialsphäre betroffen sein. Die Öffentlichkeitssphäre ist der Bereich, in dem der Einzelne sich der Öffentlichkeit bewusst zuwendet, etwa wenn er bewusst an die Öffentlichkeit tritt und sich öffentlich äußert. Diese Sphäre genießt den schwächsten Schutz. Die Sozialsphäre ist der Bereich, in dem sich der Mensch als ‚soziales Wesen‘ im Austausch mit anderen Menschen befindet. Hierzu zählt insbesondere die berufliche, politische oder ehrenamtliche Tätigkeit. Diese Sphäre ist – z. B. gegen Veröffentlichungen – relativ schwach geschützt, so dass Eingriffe in aller Regel zulässig sind, wenn nicht ausnahmsweise Umstände hinzutreten, die den Persönlichkeitsschutz überwiegen lassen.
In dem hier besprochenen Fall tritt der Facebook-Nutzer als „soziales Wesen“ im Austausch mit anderen Menschen in die Öffentlichkeit und wendet sich dieser bewusst zu. Aber auch wenn der sich hieraus ergebende Schutz verhältnismäßig schwach ist, so steht dem lediglich das Interesse gegenüber, dass eine Forderung beigetrieben wird, mithin ein rein wirtschaftliches Interesse.
Gleichzeitig wird der Schuldner durch die Einträge auf seiner Pinnwand insoweit an den Pranger gestellt, dass er in der Öffentlichkeit und insbesondere zur Kenntnisnahme seines sozialen Umfeldes als Schuldner ausgewiesen wird, mithin als Person bezeichnet wird, welche ihre vertraglichen Pflichten zur Zahlung nicht einhält. Andere, ebenfalls mit dem Schuldner über Facebook verbundene Personen und/oder Unternehmen, könnten nach Kenntnisnahme Abstand von dem Abschluss von Verträgen mit dem Schuldner nehmen. Auch die Kenntnisnahme des Arbeitgebers oder von Kollegen könnte den Schuldner in seinem sozialen Ansehen erheblich beeinträchtigen.
Ein Eintrag dürfte unter Berücksichtigung dieses Umstandes deshalb eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellen.
Hinzu kommt, dass die Nutzungsbedingungen von Facebook ein solches Vorgehen untersagen. Gemäß Ziffer 5, Unterpunkt 1 dürfen keine Inhalte auf Facebook gepostet werden oder Handlungen auf Facebook durchgeführt werden, welche die Rechte einer anderen Person oder das Gesetz verletzen.
WK LEGAL ist eine auf den Gewerblichen Rechtsschutz und das Medienrecht spezialisierte Wirtschaftsrechtskanzlei und berät eine Vielzahl von Unternehmen in allen Fragen des Internet- und Social-Media-Rechts. Sollten Sie Fragen zu diesem oder anderen Themen haben, wenden Sie sich per E-Mail oder telefonisch unter 030-692051750 an uns. Der Erstkontakt ist unverbindlich und kostenlos.
Rechtsanwalt Guido Kluck LL.M. ist Partner der Kanzlei LEGAL SMART am Standort Berlin. Er ist Ansprechpartner für das Recht der neuen Medien sowie für die Bereiche Wettbewerbsrecht, Markenrecht, Urheberrecht, IT-Recht, Vertragsrecht und das Datenschutzrecht (DSGVO).
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