Sind die strengen Fahrverbotsregeln nach dem neuen Bußgeldkatalg unwirksam?

Guido Kluck, LL.M. | 3. August 2020

Gute Nachrichten für Autofahrer die seit Inkraftreten des neuen Bußgeldkatalogs am 28. April 2020 geblitzt worden sind. Dieser wurde nämlich mittlerweile aufgrund eines juristischen Formfehlers bundesweit von allen Ländern außer Kraft gesetzt. So manch einer der sich bereits gedanklich von seinem Führerschein verabschiedet hat, sollte jetzt also aufhorchen.  

Was ist passiert?

Am 28. April 2020 trat der umstrittene sogenannte „neue Bußgeldkatalog 2020“ in Kraft. Inhaltlich sieht dieser insbesondere eine Verschärfung der Strafe von Temposündern vor. So reichen mittlerweile innerorts 21 km/h (vorher 31 km/h) um einen Punkt, 80€ Strafe und einen Monat Fahrverbot aufgedrückt zu bekommen. Außerorts reichen hierfür nun schon 26 km/h, statt vormals 41 km/h. 

Allerdings hat der Gesetzgeber einen kapitalen Fehler begangen. So ist es möglich die Bundesregierung, einen Bundesminister oder eine Landesregierung durch Gesetz dazu zu ermächtigen eine Rechtsverordnung, so wie den neuen Bußgeldkatalog, zu erlassen. 

Das Grundgesetz sieht in Art. 19 Abs. 1, S. 2 jedoch ein „Zitiergebot“ vor, wonach in der erlassenen Rechtsverordnung stets anzugeben ist, auf welcher gesetzlichen Grundlage diese basiert. Ein Verstoß gegen das Zitiergebot führt nach geltender Rechtsprechung zur Nichtigkeit der Rechtsverordnung und genau das ist in diesem Fall passiert. 

Die offiziell als 54. Änderungs-VO bezeichnete Rechtsverordnung zitiert nämlich nur § 26a Absatz 1 Nr. 1 und 2 StVG und nicht auch § 26a Abs.1 Nr. 3 StVG (Fahrverbote). Die Änderung von Regelfahrverboten erfolgte demnach ohne Ermächtigung. In der Folge dieses vermeintlich kleinen Formfehlers haben immer mehr Bundesländer, begonnen mit dem Saarland, den neuen Bußgeldkatalog außer Kraft gesetzt.

Rechtliche Bedeutung

Da sich am 10. Juli 2020 die Landesverkehrsminister darüber einigten, dass die neuen strengen Fahrverbote für Geschwindigkeitsüberschreitungen bundesweit außer Vollzug zu setzen sind, werden die meisten Bundesländer nun zum alten Bußgeldkatalog zurückkehren.

Thüringen verzichtet sogar künftig darauf die fraglichen Tatbestände zu ahnden und will dies nachholen, sobald Klarheit besteht.

Bremen entschied jedoch den neuen Bußgeldkatalog weiterhin beibehalten zu wollen, jedoch soll die Ahndung von Verstößen, die die durch die StVO-Novelle neue Punkte und Fahrverbote vorgesehen waren, zunächst ausgesetzt werden.

Im Einzelnen handelt es sich um folgende Regelungen: 

Geschwindigkeitsüberschreitungen von 21 – 30 km/h innerorts und 26 – 40 km/h außerorts, fehlende Bildung einer Rettungsgasse als Grundtatbestand (also bereits ohne Behinderung oder Gefährdung), Befahren der Rettungsgasse durch Unbefugte und gefährliches Abbiegen. 

 Da die StVO-Novelle hier grundsätzlich Fahrverbote vorsieht, ist zum jetzigen Zeitpunkt völlig unklar, ob und wie Fahrverbote zu einem späteren Zeitpunkt wieder von den Ländern verhängt werden können.

Die Unanwendbarkeit der Novelle wurde auch durch das zuständige Ministerium bestätigt:

“Das führt dazu, dass die Regelungen zu Fahrverboten in Artikel drei [der StVO-Novelle, Anm. der Redaktion] nichtig sind.” (Sprecherin von Verkehrsminister Andreas Scheuer)

Rechtswidrigkeit der ausgehängten Fahrverbote

Da die verhängten Sanktionen auf einer rechtswidrigen Grundlage beruhen, sind sie alle juristisch anfechtbar! Sollte das Ministerium sogar entscheiden, dass der gesamte Bußgeldkatalog rechtswidrig ist, wird sich die Zahl der rechtswidrig ergangenen Sanktionen noch einmal um ein Vielfaches erhöhen. Denn auch das Bundesverfassungsgericht hält den Verstoß gegen das Zitiergebot regelmäßig für derart schwerwiegend, dass es die gesamte Verordnung für rechtswidrig erklären würde. (BVerfG, Urteil vom 6. Juli 1999 – 2 BvF 3/90).

Unser Rat: Einspruch einlegen!

Wer von einem frisch eingegangenen Fahrverbotsbescheid betroffen ist, sollte umgehend Einspruch dagegen einlegen und sich auf die Unwirksamkeit der der Neuregelung berufen. Lenkt die Behörde nicht ein, so sollte die Unwirksamkeit beim Amtsgericht geltend gemacht werden. Sollten Sie dennoch verurteilt werden, sollten zwingend Rechtsmittel eingelegt werden.

Fazit

Nach Schätzungen sollen bis zu 100.000 Fahrverbote rechtswidrig ergangen sein, da sie auf Grundlage der Novelle ergangen sind.

Sollten Sie daher einen Bußgeldbescheid oder Anhörungsbogen in dem Zeitraum der Novelle erhalten haben, besteht eine hohe Chance die Ihnen auferlegte Geldbuße, oder das Fahrverbot zu vermeiden oder erheblich zu reduzieren. Melden Sie sich bei uns! Wir prüfen Ihren Bußgeld- oder Fahrverbotsberaten und beraten Sie gern!

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Guido Kluck, LL.M.

Rechtsanwalt Guido Kluck LL.M. ist Partner der Kanzlei LEGAL SMART am Standort Berlin. Er ist Ansprechpartner für das Recht der neuen Medien sowie für die Bereiche Wettbewerbsrecht, Markenrecht, Urheberrecht, IT-Recht, Vertragsrecht und das Datenschutzrecht (DSGVO).

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