Übergriffe in VR-Anwendungen: Welche Rechte bestehen?

Guido Kluck, LL.M. | 8. Februar 2022

Das Metaverse gewinnt in allen Rechtsbereichen immer mehr an Bedeutung. Neben dem Erwerb von virtuellen Grundstücken, was zivilrechtliche Fragen aufwirft, rücken nun aber auch strafrechtliche Rechtsfragen immer mehr in den Mittelpunkt. Seit dem Start des „Horizon Worlds“, einer virtuellen Plattform des Facebook-Konzern, meldeten mehrere Frauen sexualisierte Gewalt im Metaverse, wie Golem berichtet. Aber auch in anderen virtuellen Welten kam es zu solchen Vorfällen.

Auf unserem Blog wollen wir der Frage nachgehen, ob auch im Metaverse Straftatbestände erfüllt werden können und ob Betroffene Unterlassungsansprüche geltend machen können? 

Was ist passiert?

Im Metaverse kam es zu sexuellen Übergriffen auf oftmals weibliche Avatare. Schon nach kurzer Zeit im Metaverse wurden die Spielfiguren einiger Nutzerinnen von männlichen Avataren belagert, bedrängt und mussten sexuelle Anspielungen über sich ergehen lassen. Teilweise wurden männliche Avatare übergriffig und begrapschten weibliche Avatare. 

Neben sexueller Belästigung und Missbrauch, gibt es auch nachweislich Vorfälle von Rassismus, Androhungen von Gewalt, Mobbing, sowie Pädokriminalität.

Rechtlicher Graubereich?

Wenn man alle Aspekte betrachtet, handelt es sich bei diesem Thema im Metaverse um einen (straf-)rechtlichen Graubereich im Recht. Es stellt sich daher die Frage, inwieweit virtuelle Übergriffe in virtuellen Welten strafrechtlich überhaupt zu bewerten sind. In seiner ursprünglichen Fassung ist das StGB bereits am 1. Januar 1872 in Kraft getreten. Zu dieser Zeit war an virtuelle Welten noch nicht zu denken.

Rechtliche Bewertung der Vorfälle

Doch wie geht man mit diesen Vorfällen nun rechtlich um? Sind sie zu bestrafen, wie in der realen Welt? Greifen die Straftatbestände überhaupt durch? Um diese Frage zu klären, bedarf es eines Blickes ins Gesetz.

Das Strafgesetzbuch sieht in § 184i Abs. 1 StGB (Sexuelle Belästigung) eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe vor, wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt. Das Gesetz spricht deutlich von einer „Person“. Ob auch ein Avatar als eine Person i.S.d. Strafgesetzbuches zu qualifizieren ist, ist fraglich. Mit „andere Person“ meint der historische Gesetzgeber eine andere „natürliche“ Person, also einen Menschen. Nach § 1 BGB ist Mensch, wer von Menschen abstammt. Ein Avatar stammt jedenfalls nicht in natürlicher Weise von einem Menschen ab, auch wenn ein Mensch ihn entwickelt hat. Den klassischen Straftatbestand des § 184i Abs. 1 StGB würde durch einen Übergriff von einem Avatar auf einen anderen zunächst nicht erfüllt werden. Natürlich könnte man auch daran denken, dass ein Avatar vom Menschen als eine Art Werkzeug benutzt wird und bei Übergriffen ja schließlich menschlich gesteuert wird. Jedoch fehlt es dann immer noch an einem Übergriff auf eine „andere Person“. Auch andere Straftatbestände dieser Art sind rechtlich ähnlich oder sogar gleich aufgebaut. Der § 240 Abs. 1 StGB sieht beispielsweise die Nötigung eines „Menschen“ vor. Auch bei der Bedrohung nach § 241 Abs. 1 StGB müsste ein „Mensch“ bedroht werden. 

Anders sieht es aber bei der Beleidigung aus. Sie ist auf Social Media und in der virtuellen Realität grundsätzlich strafbar, da das Gesetz keine Anforderungen an das Menschsein stellt. Es wäre demnach grundsätzlich denkbar, dass der Tatbestand der Beleidigung durchgreift wie man es schon bei sozialen Medien kennt, erst recht, wenn der Avatar in Gestalt der Person erscheint, die sie führt.

Erfahrungen im Metaverse sind lebensecht

Es scheint daher zunächst so, dass sexuelle Übergriffe im Metaverse ohne eine Anpassung des StGB zunächst nicht strafbar wären. Zu bedenken gibt aber, dass die Journalistin Eva Wolfangel von Übergriffen im Metaverse „AltspaceVR“ berichtete, ein Unternehmen das zu Microsoft gehört, dass sich die Bedrängungen und Berührungen durch die VR-Komponente wie an seinem eigenen Körper anfühlten, also lebensecht wären. Dazu äußerte sie sich wie folgt: „Man hat so ein Headset auf und Kopfhörer und das fühlt sich an, als wenn man an einem anderen Ort ist. Dieser Avatar ist der eigene Körper. Und wenn den jemand begrapscht, wie das der Mann gemacht hat, spürt man es nicht körperlich – aber ansonsten ist das nicht so anders als ein sexueller Übergriff in der realen Welt.“ Leider machen auch andere Nutzerinnen die gleichen Erfahrungen.

Unterlassungsanspruch denkbar 

Auch wenn strafrechtlich zur Zeit bei sexuellen Übergriffen noch keine strafrechtlichen Konsequenzen drohen, könnte betroffenen Personen gegen den Schädiger ein Unterlassungsanspruch gem. § 1004 BGB mit zustehen. Avatare werden rechtlich gesehen als virtuelle Gegenstände nach § 90 BGB eingeordnet. Sie können erworben, bespielt und genutzt werden. Da man einen Avatar rechtlich gesehen einerseits als auf einer Software liegendes virtuelles Gut, andererseits aber auch als virtuellen Gegenstand, der als geldwerter Gegenstand der virtuellen und realen Welt existiert, qualifizieren kann, sind absolute Rechte am Avatar zwar nicht ausgeschlossen, jedoch ist ein Unterlassungsanspruch über Immaterialgüterrechte, wie etwa die gewerblichen Schutzrechte, das Marken-, Patent-, Gebrauchs- oder Geschmacksmusterrecht, sowie das Urheberrecht, eher denkbar. Wenn jemand seinen Avatar beispielsweise nicht mehr im Metaverse nutzen kann, weil ihn andere belästigen, weil es seine Stelle degradiert o.ä., könnte die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen gegen den Schädiger durchaus denkbar sein.

Arbeitsrechtliche Konsequenzen 

Gerade wenn die spezielle Arbeitstätigkeit in einer virtuellen Realität stattfindet und man dort auf Kollegen trifft, wären arbeitsrechtliche Konsequenzen denkbar. Hier kommt es vor allem darauf an, wie der konkrete Arbeitsvertrag ausgestaltet ist und ob das belästigende Verhalten des anderen Avatars die Abläufe und auch das Wohlbefinden der Kollegen am Arbeitsplatz beschränkt.

In der realen Welt ist eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz eine Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflicht oder ein Dienstvergehen. Die betroffenen Beschäftigten haben in der realen Welt das Recht, sich bei den zuständigen Stellen des Betriebes zu beschweren, wenn sie sich vom Arbeitgeber, vom Vorgesetzten, von anderen Beschäftigten oder von Dritten am Arbeitsplatz sexuell belästigt fühlen. Sie möchten sich gegen eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz zu Wehr setzen, egal ob in der virtuellen oder realen Welt? Dann melden Sie sich bei uns! Unser spezialisiertes Team steht Ihnen umgehend mit kompetenter und diskreter Beratung zur Seite. 

Man kann sich der Situation im Metaverse schneller entziehen

Ein rechtlicher Aspekt, der natürlich große Bedeutung findet ist, dass man sich der Situation im Metaverse schneller, einfacher und effektiver entziehen kann, als vergleichbaren Situation im realen Leben. Im echten Leben kann man keine VR-Brille abnehmen, sondern ist der Situation oftmals hilflos ausgesetzt. Das könnte natürlich die Schwelle an eine eventuelle Strafbarkeit erhöhen. Jedoch zeigen solche Situationen die Einstellung von übergriffigen Avataren, die das Metaverse als eine Art rechtsfreien Raum betrachten, wo sie vielleicht Situationen ausleben, die sie im realen Leben niemals tun würden.

Ist ein automatischer Abstand  (Safe Zone) die Lösung?

Ob eine Safe Zone zwischen Avataren die Lösung ist, möchten wir bezweifeln. Zunächst scheint es aber die beste Lösung zu sein, um solche Übergriffe aktuell komplett zu unterbinden. Für das Wohlbefinden seiner NutzerInnen ist der Betreiber schließlich auch verantwortlich. Andererseits wird es mit diesem technisch eingerichteten Abstand unmöglich auch Avataren näher zu kommen, die man mag und deren Nähe man wertschätzt. Dadurch wird eine Art rechtliche Bevormundungssituation im Metaverse geschaffen, einer Welt, die ja gerade für Freiheit steht; nämlich die Freiheit über die Grenzen der realen Welt hinauszugehen, um auch dort autonom und selbstbestimmt zu agieren. 

Fazit

Zusammenfassend ist zu sagen, dass das Strafrecht überdacht und an die heutige Zeit angepasst werden müsste, um die Notwendigkeit des „Menschseins“ für Straftatbestände der sexuellen Belästigung zu überwinden. Jedoch ist hier auch fraglich, wie es dann weitergeht und vor welchem Gericht solche Übergriffe angeklagt werden: wo man sich „physisch“ befindet, wo der Server angeschlossen ist, wo das Unternehmen seinen Sitz hat? Gilt dann auch das jeweilige Recht des Staates? Die reine strafrechtlich relevante Gesinnung, die aus solchen Übergriffen hervorgeht, ist zunächst nicht strafbar. Tatsächliche Übergriffe auf andere Avatare könnten aber unter Umständen zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen führen und auch Unterlassungsansprüche sind denkbar. 

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Guido Kluck, LL.M.

Rechtsanwalt Guido Kluck LL.M. ist Partner der Kanzlei LEGAL SMART am Standort Berlin. Er ist Ansprechpartner für das Recht der neuen Medien sowie für die Bereiche Wettbewerbsrecht, Markenrecht, Urheberrecht, IT-Recht, Vertragsrecht und das Datenschutzrecht (DSGVO).

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