Was interessiert den BGH der EuGH?

Guido Kluck, LL.M. | 27. Mai 2020

In seiner Entscheidung vom 26. März 2020 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine brisante Grundsatzfrage beantwortet (C-66/19). Er stellte fest, dass die von Banken und Sparkassen seit Juni 2010 bis März 2016 verwendete Widerrufsinformation zu Darlehensverträgen mit europäischem Recht nicht vereinbar ist.

Folge der Entscheidung ist es, dass viele Darlehensnehmer bundesweit die Möglichkeit haben, von ihren Darlehensverträgen Abstand zu nehmen und diese zu kündigen bzw. zu widerrufen. Daraus folgend können sie von besseren Zinsentwicklungen im Nachgang profitieren.

Für den deutschen Gesetzgeber heißt dies, dass gegen europäisches Recht verstoßen wurde, da die Umsetzung der europäischen Richtlinie, die die Grundlage für die Regelung des Widerrufsrechts bei Darlehensverträgen ist, nicht fehlerfrei abgelaufen ist. Die von Banken und Sparkassen genutzte Widerrufsinformation entspricht den gesetzlichen Vorgaben des deutschen Gesetzgebers. Insoweit könnte es dazu kommen, dass Verbraucher und Banken sowie Sparkassen gegen den deutschen Staat Ansprüche geltend machen.

Vorgeschichte zu der Entscheidung

Grundlage der Entscheidung war eine Vorlage zur Vorabentscheidung des LG Saarbrücken vom 17.01.2019 (Az. 1 O 164/18) im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen einem Verbraucher und der Kreissparkasse Saarlouis über die Frage, ob der Verbraucher ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht belehrt worden ist.

Das LG Saarbrücken legte dem EuGH die Frage vor, ob der im Belehrungsmuster nach Anlage 6 EGBGB a.F. enthaltene „Kaskadenverweis“ mit dem Art. 10 Abs. 2 lit. p. der Richtlinie 2008/48/EG, wonach eine Widerrufsinformation „klar“ und „prägnant“ sein muss, vereinbar ist.

In dieser Richtlinie heißt es gemäß Ziffer 31 wie folgt:

„(31) Alle notwendigen Informationen über die Rechte und Pflichte, die sich für den Verbraucher aus dem Kreditvertrag ergeben, sollten in klarer, prägnanter Form im Kreditvertrag enthalten sein, damit der Verbraucher diese zur Kenntnis nehmen kann.“

Ähnliche Fehler bereits in der Vergangenheit

Bereits zuvor hat der deutsche Gesetzgeber ähnlich gehandelt und Banken und Sparkassen bereits für Darlehen, die zwischen 2002 und Juni 2010 abgeschlossen worden sind, mehrere Widerrufsbelehrungsmuster bereit gestellt. Doch auch diese enthielten nicht unwesentliche Mängel welche nicht unerhebliche Mängel aufwiesen.

Die Folge davon war, dass Banken und Sparkassen sich mit hunderttausenden Verbrauchern und deren Widerrufen auseinandersetzen mussten. Daraufhin wurde vom Gesetzgeber eine Ausschlussfrist zum Widerruf dieser Darlehen gesetzt.

Wie entschied der EuGH?

Die vom EuGH als gegen europäisches Recht verstoßende Widerrufsinformation war wie folgt formuliert (Auszug):

„Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB (z.B. Angabe zur Art des Darlehens, Angabe zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat.“

In dem genannten § 492 Abs. 2 BGB sind diese Pflichtangaben jedoch nicht enthalten, sondern die Norm verweist in das EGBGB, dem sog. Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). Der Nachteil für den Verbraucher ergibt sich daraus, dass sich selbst Informationen durch Nachprüfung mehrerer Gesetzestexte zur Widerrufsfrist beschaffen muss. Dies widerspricht der Verbraucherfreundlichkeit der Europa-Richtlinie.
Anders als der BGH sah der EuGH dieses Vorgang als für den Verbraucher unzumutbar an. Die Information über das Widerrufsrecht ist eine essenzielle Information für den Verbraucher, anhand derer er die Modalitäten für den Widerruf ablesen kann. Ihm muss ohne große Umwege durch die Information deutlich werden müssen, wie die Bedingungen, Fristen und weiteren Modalitäten für die Ausübung des Widerrufsrechts lauten. Insoweit muss die der Kreditvertrag selbst alle Informationen hierzu beinhalten, in klarer und prägnanter Form.

Jetzige Information zwingt Verbraucher, selbst tätig zu werden. Die momentane Widerrufsinformation aus vielen Verträgen zwischen Verbrauchern und Banken sowie Sparkassen verweisen auf eine Gesetzesvorschrift, die wieder ihrerseits auf andere Vorschriften verweisen. In diesem Sinne ergeben sich keine genauen Regelungen aus dem vertrag selbst. Ein rechtsunkundiger Verbraucher muss sich in diesen Fällen selbständig durch die Gesetzesvorschriften kämpfen, was mit Verbraucherfreundlichkeit nicht mehr vereinbar ist.

Ohne diese Prüfung weiß der Verbraucher im Ergebnis nicht, ob der von ihm abgeschlossene Vertrag alle erforderlichen Angaben enthält und ob die Widerrufsfrist für ihn zu laufen begonnen hat oder nicht.

Was ist ein Kaskadenverweis?

Ein Kaskadenverweis ist dementsprechend immer dann gegeben, wenn von einem Gesetz in ein anderes Gesetz bzw. auf einen anderen Paragrafen verwiesen wird usw. Es handelt sich dem um eine Verweiskette. In dem hier umstrittenen Fall umfasste diese fast acht Seiten Gesetzestext.

Was können Verbraucher tun?

Verbraucher mit den unterschiedlichsten Darlehensverträgen können nun ihre Darlehensverträge widerrufen. So sind auch Autokredit- und Leasingverträge widerrufbar.

Wir helfen Ihnen gerne

Trotz dieser spektakulären Entscheidung des BGH werden Banken und Sparkassen voraussichtlich die kommenden Widerrufe ihrer Kunden nicht anerkennen und stattdessen versuchen, sich diesen zu widersetzen. Sollten auch sich in dieser Situation befinden und betroffen sein, melden Sie sich gerne bei uns. Wir helfen Ihnen.

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Guido Kluck, LL.M.

Rechtsanwalt Guido Kluck LL.M. ist Partner der Kanzlei LEGAL SMART am Standort Berlin. Er ist Ansprechpartner für das Recht der neuen Medien sowie für die Bereiche Wettbewerbsrecht, Markenrecht, Urheberrecht, IT-Recht, Vertragsrecht und das Datenschutzrecht (DSGVO).

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